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"Verbraucherschutz und Finanzmärkte"
Stellungnahme zu dem Fragenkatalog vom 19.12.2008 - Öffentliche Sachverständigenanhörung des Bundestagsausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz

Aktuell gibt es keine Alternative zu den weltweiten Bürgschaften des Staates von circa 3 Billionen Euro zur Rettung für eine aus den Fugen geratene Geldwirtschaft, die unsere Währungen und damit die gesamte wirtschaftliche Kommunikation in den Händen hält. Es geht aber darum, diese Hilfen mit einer strukturellen Veränderung zu verbinden, weil ebenso wie jetzt in den USA in spätestens 10 Jahren jene Zeitbomben hochgehen werden, die im europäischen Kreditportfolio schlummern. Daher ist es wesentlich, sich mit den Ursachen zu beschäftigen. Die Verbraucher spielen bei der strukturellen Erneuerung eine Schlüsselrolle. Effektiver Verbraucherschutz bei Finanzdienstleistungen schafft gesunde Produkte auf den Finanzmärkten, die krisenfest sind.

Die weltweite Koalition für Verantwortung im Kredit, zu der auch die deutschen Verbraucherverbände und Schuldnerberater gehören, hat hierzu die Prinzipien verantwortlicher Kreditvergabe, die Subprime Erklärung vom März 2008 sowie die Londoner Erklärung zur Kreditkrise vom Dezember 2008 herausgegeben, in der - unter Beteiligung von Vertretern der ersten, zweiten und dritten Welt - Grundpositionen zur Rolle des Verbraucherschutzes zur Überwindung der Kreditkrise niedergelegt wurden. Auch Politiker haben sie bereits durch ihre Unterschrift unterstützt. Die Erklärungen werden aktuell vom britischen Parlament über die Ausschüsse der EU und in vielen Parlamenten wie Rumänien, Brasilien oder Südafrika diskutiert. Auch in Deutschland, das den internationalen Bestrebungen der Finanzanbieter breiten Diskussionsraum einräumte, sollten die Diskussionen der Stakeholder des Finanzsystems als Kontrapunkt politisch ernst genommen werden.

Ursachen der Krise

Die aktuelle Krise ist durch den mit den neo-liberalen Schlagworten der Eigenverantwortung der Verbraucher, des freien europäischen Binnenmarktes und der Informationsasymmetrie gerechtfertigten Rückzug der staatlichen Grenzsetzung und Kontrolle in den letzten 15 Jahren aus den Finanzmärkten ermöglicht worden. Beispiele sind:

  • die vielen "Finanzmarktförderungsgesetze", Maximalharmonisierung im Kredit, Öffnung des Internets für Finanzprodukte, Single Passport und Heimatland(nicht)kontrolle bei Investmentprodukten, Zahlungsverkehr und Kreditkarten, Zulassung von intransparenten Investmentprodukten (OGAV) mit spekulativen Anteilen (Futures), Zulassung reiner Wettsysteme als Anlagen (Zertifikate), Wegnahme öffentlicher Garantien von Landesbanken und Sparkassen, Abbau regionaler Verantwortung der Banken für die Wirtschaft,
  • Ersetzung der objektiven Produktanforderungen durch eine unwirksame Informationsüberflutung, Fokussierung des Verbraucherschutzes auf in der Praxis irrelevante Hilfen für Verbraucherentscheidungen, die allein die Ideologie der Eigenverantwortung nähren wie Widerrufsrechte, Termingeschäftsfähigkeitsunterschriften, Selbsteinschätzung der Risikobereitschaft etc.,
  • Förderung der Spekulationslust durch Aktienspiele an Schulen und Missbrauch von sehr speziellen und unausgereiften Zukunftswerkstätten wie "ethisches Investment", "Mikro-Kredite" und "finanzielle Bildung" oder "private Vorsorge" sowie
  • Wiederzulassung von Wucher im Kredit über Koppelungsprodukte wie Restschuldversicherungen bzw. Traumrenditen im entsprechenden Anlageprodukt.

All dies zerstörte die Verantwortlichkeit der Finanzdienstleister für das Funktionieren der Wirtschaft insgesamt und für den sozialen Verbraucher- und Schuldnerschutz.

Statt die Entwicklung von wirtschaftlich sinnlosen Hochrisikoprodukten zu kontrollieren, wird der Schein erzeugt, man könne das Problem dadurch lösen, dass man den Anlegern beibringt, solche Produkte nicht zu erwerben. Gekauft wurden diese Produkte vor allem von Banken, was die Grenzen der Wirkungsmöglichkeiten von Aufklärung und Beratung bei solchen Produkten deutlich machen sollte.

Triebfeder der Produktion solcher Risiken ist die ungehemmte Ausreizung der Belastungsgrenzen derjenigen, die mit dem Geld anderer arbeiten oder konsumieren müssen. Ein Spekulant ist ein Unternehmer, der hofft, das die Belastung und Ausbeutung den Verbraucher nicht so ruiniert, dass dieser zahlungsunfähig wird, bevor das Risiko weitergegeben wurde. Diese Drohung begrenzte an sich den Appetit der Spekulanten, solange sie – also die Kreditgeber - selbst mit den Folgen leben mussten. Mit Hilfe des Staates ("true sale initative") wurde jedoch den unverantwortlichen Kreditvergebern gestattet, ihren Gewinn vorher zu realisieren, indem sie den dubiosen Rückzahlungsanspruch ohne Zustimmung der Verbraucher an einen Dritten (Finanzinvestor) verkauften ("NPL Verbriefung"). Inzwischen sind Forderungen und Risiken entweder beim Verbraucher ("Schrottimmobilien", "Telekom-Aktie", Internetblase) oder beim Staat mit seinem 500 Milliarden Euro Programm als Ausfallbürgen auch für Spekulanten aller Art angekommen, ohne dass der Mechanismus wirklich in Frage gestellt wird.

Die Spekulation geht mit dem Wucher einher. Denn Wucher entsteht durch Provisionen, Tantiemen, Zinsrefinanzierung, Risikoprämien, Abschläge etc., so dass nur ein geringer Teil der als "Kredit" (= Aktie, Investment, Schuldschein, Unternehmensbeteiligung) deklarierten Beträge beim Nutzer des Kredites ankommen, während der größere Teil in den Finanzsektor zurück fließt. Die Tatsache, dass die gesamte Finanzwelt nur aus Krediten besteht und daher die Summe der Anleger (Kreditgeber) immer nur das verdienen kann, was alle Kreditnehmer (Verbraucher, Unternehmen, Staat) damit erwirtschaften können, ging verloren. (Rendite = Zinsen - Ausfälle - Kosten). Dass dabei der Wucher auch die Spekulanten, also die Wucherer, trifft, weil über den Kaufpreis, den Betrug bei der Weitergabe und den Abzug von Provisionen etc. der eine Anleger auch auf Kosten des anderen Traumrenditen verdienen kann, lässt die Illusion aufkommen, die eigentlichen Geschädigten seien die Anleger. Es gibt geschädigte Anleger aber den Gesamtschaden tragen allein die Kreditnehmer und damit die produktive Wirtschaft, die nicht Geld sondern Sach- und Arbeitskapital aufwendet, um die Renditen zu erwirtschaften. Ihn trägt der Verbraucher und Arbeitnehmer im Konsumkredit, beim Arbeitsplatzverlust, in der verlorenen Altersvorsorge oder als Steuerbürger.

Strukturelle Konsequenzen zur Überwindung und Prävention

Aus dem Gesagten ergeben sich folgende Konsequenzen:

1. Es handelt sich nicht um eine Anlegerkrise sondern um eine Kreditkrise.

Die durch Wucherkredite ("Subprime") nicht nur in den USA sondern auch in Deutschland bestimmte Finanzkrise hat vor allem die untere Hälfte der Bevölkerung ("Kreditbürger" ohne Spartätigkeit) und nicht so sehr die obersten 20 % ("Risikoanleger", Aktienbesitzer) betroffen. Unmittelbar Leidtragender ist aber der Staat, der Milliardenverluste auf Kosten zukünftiger Generationen auf sich nimmt, was wiederum zulasten des Sozialstaates geht. Verbraucherschutz muss als Prävention für einen funktionierenden Markt und Schutz des Sozialstaates verstanden werden, der zukünftiges Marktversagen und weitere Belastungen des Sozialstaates zu vermeiden hilft. Daher darf der aktuelle Verbraucherkreditentwurf im Bundestag nicht ohne Diskussion von Wucher und Überschuldungsprävention verabschiedet werden. Ferner muss der Schuldnerschutzentwurf zum P-Konto dringend verabschiedet werden und wie angekündigt die Pflicht zum Mindestgirokonto gesetzlich umgesetzt werden.

2. Die Anzahl der durch Wucher, Spekulation und unverantwortliche Kredite auf dem Markt als Anlage angebotenen Objekte muss reduziert werden.

Nicht nur in den USA sondern auch bei uns sind zunehmend wucherische faule Kredite mit Traumrenditeerwartungen vertrieben worden. (Vgl. den Beitrag Süddeutsche Zeitung vom 09.01.2009 (Oechsner)) Effektive Zinssätze von weit über 30 % können erzielt werden. Beleihungsgrenzen von 110 % wurden erreicht, bei Verbraucherkrediten Belastungsgrenzen von 50 % des Einkommens, bei mittelständischen Unternehmen utopische Nebenkosten. Die Kreditnehmer wurden dadurch allmählich ruiniert. Die Palette der Betrügereien (Schrottimmobilien, geschlossene Fonds ohne Wert, 30-60 % Provisionen, Scheinfirmen, Restschuldversicherungen, Kettenumschuldung mit Zinseszinsen, Überziehungsprovisionen, Sondergebühren, Vorfälligkeitsentschädigung, Disagioeinbehalt, Tilgungsverrechnung etc.) ist explodiert. Hervorgetan haben sich Banken wie die HypoReal Estate (Ex-Bayerische Hypotheken und Wechselbank: Hypotheken sowie Mittelstand), Citibank (Konsumkredit), RBS (Konsumkredit), GMAC (Hypotheken) HSH Nordbank (Mittelstand), Commerzbank (Kontoüberziehung), Berliner Bank (Kreditkarten) also vor allem Banken, die nun am Tropf des Staates hängen. Aktuell wird dieses Geschäft noch durch die Umsetzung der Kreditregulierungsvorgaben aus Brüssel erleichtert.

3. Wer Risiken generiert, muss auch für ihre Beherrschung zuständig bleiben.

Das Ziel, Risiken beherrschbar zu machen und ihre Genese zu begrenzen, muss durch den haftungsrechtlichen Rückkoppelungsprozess gewährleistet werden. Risiken können daher nur dann auf Dritte übertragen werden, wenn es sich dabei um eine Versicherung handelt oder wenn der Übertragende weiterhin für deren Beherrschung mit haftet oder wenn durch die Übertragung keine Verschlechterung der Haftungsbedingungen für dieses Risiko (z.B. erhöhte Insolvenzgefahr) bzw. eine Beeinträchtigung der Interessen des Schuldners eintreten.

4. Die Subprime Declaration und die Londoner Erklärung vom Dezember 2008 von ECRC/NCRC sowie die 10 Punkte zur Bankenkrise des iff vom Januar 2008 enthalten alle Forderungen zum Verbraucherschutz

Die Subprime sowie die Londoner Erklärung, die von Brasilien, den USA über Südafrika, Europa und Japan von Verbraucherverbänden, Wissenschaft und sozialen Organisationen unterstützt wird, legt den Schwerpunkt auf eine Gesundung des Kreditsystems bei Verbrauchern. Barack Obama ebenso wie Bernanke haben sich bereits für eine Kreditorientierung und besseren Schuldnerschutz bei der Krisenbewältigung ausgesprochen.

Die 10 Punkte des iff wollen vor allem die Allgemeinheit (d.h. den Staat und die Bürger) vor betrügerischen Manipulationen im Geldsektor schützen.

5. Die Betrügereien auf dem Anlagemarkt müssen so reduziert werden, dass "Finanzschrott" bei demjenigen verbleibt, der ihn generiert hat. Dieser Grundsatz ist dem Grundsatz des Anlegerschutzes vorzuziehen. Dabei sollten drei Prinzipien gelten: One-Price-Doktrin, Produktwahrheit (Altersvorsorgezertifikat), Produktklarheit (Risikoprodukte versus sichere Produkte).

(One-Price-Doktrin) Sowohl bei Rendite wie bei Effektivzins ist nur ein Preis in Form eines Jahreszinssatzes anzugeben, der alle Zahlungen des Verbrauchers aus Anlass des erworbenen Produktes, die bei Abschluss erwartet werden können, ins Verhältnis zu allen Zahlungen des Finanzdienstleisters an den Verbraucher setzen. Zukünftige Renditen müssen miteinander vergleichbar sein und eine nachweisliche Basis haben. Allein beliebig historisch herausgenommene Renditesätze reichen dazu nicht aus. Die Angabepflicht muss dazu geeignet sein, zeitanteilige Kosten zu berechnen.

(Produktwahrheit) Wer ein Produkt im Retail-Geschäft an normale Haushalte verkauft, der sollte, wenn er sie als "Altersvorsorge" oder „Rente“ in der Werbung, bei der Produktbezeichnung oder Beratung bezeichnet, immer Mindestvoraussetzungen erfüllen müssen, wie es sie zum Beispiel für die Riester-Rente im Alterszertifizierungsgesetz gibt, die um weitere Faktoren wie das Verbot des Sparens auf Kredit ergänzt werden sollten.

(Produktwahrheit) Wer das Label "Altersvorsorge" in Werbung, Produktbezeichnung oder Beratung benutzt, muss die Mindestvoraussetzungen des Alterszertifizierungsgesetzes erfüllen, das um das Verbot des Sparens auf Kredit in der Altersvorsorge erweitert werden muss.

(Produktklarheit) Risikoprodukte müssen bereits im Namen als solche bezeichnet werden. Fehlt diese Bezeichnung, so muss das Produkt eine Nominalwertgarantie haben. Für Risikoprodukte (Aktien, Zertifikate, Futures, Investmentanteile, Beteiligungen) kann es dagegen keine feststehende Information und Beratung geben, weil Risiken relativ und zeitabhängig sind.


ID: 42283
Autor(en): Reifner, Udo
Erscheinungsdatum: 28.01.09
   
 

Erzeugt: 22.01.09. Letzte Änderung: 22.01.09.
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