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„Citigroup mit Milliardenverlusten“ - unvorhersehbar und unvermeidbar?
Die Zeitungen melden, dass die größte amerikanische Bank, die auch in Deutschland die Nummer 2 im Konsumkredit ist, einen Quartalsverlust von 5,1 Mrd. Dollar meldet. „Ursache der Verluste sind Wertberichtigungen von über 15 Milliarden Dollar auf Hypotheken, Verbraucherkrediten und Unternehmensfinanzierungen. Nicht nur Hausbesitzer sind mit Zins und Tilgung im Rückstand, immer mehr Citi-Kunden konnten auch ihre Kreditkarten-Schulden und die Ratenkredite für ihr Auto nicht bedienen.“ schreibt die Süddeutsche Zeitung (v. 19.4.2008 S.23) Nun müssten 6000 Arbeitnehmer ihre Jobs dort aufgeben, die Kosten müssten um 20% gesenkt werden. Schon vorher war auf das große Engagement von Citi im „Subprime“ (sprich Wucherkredit) Sektor hingewiesen worden. Die Kosten solcher Kredite sind aber weit höher, weil viele der Kredite vorher verbrieft an andere Banken verkauft wurden, die sich ihrerseits wie UBS, Deutsche Bank oder die Landesbanken daran verschluckt haben.

Woher kommt die Krise, wo doch vor kurzer Zeit noch im Raume stand, Citigroup könne die Deutsche Bank übernehmen und habe Eigenkapitalrenditen, von denen kontinentaleuropäische Banken nur träumen könnten? Diese Bank hat doch gezeigt, wie man jenseits des Investmentbankings gutes Geld mit Finanzdienstleistungen“ verdienen könne und dem deutschen Bankensektor die Arroganz gegenüber dem einfachen Kunden abgewöhnt.

KREDITE, DIE NUR IN DEN BILANZEN NOCH RÜCKFÜHRBAR ERSCHIENEN

Der Ursache liegt darin, dass Citibank wie übrigens inzwischen eine Reihe von anderen vor allem angelsächsische Banken auch, mit Krediten Geld verdient, die statt gekündigt zu werden, als Buchpositionen aufrechterhalten und jeweils den Kundenverhältnissen für hohe Zusatzkosten angepasst werden, obwohl sie eigentlich in der Überschuldung münden werden. Seit 20 Jahren ist Citigroup, in Deutschland einst unter KKB bekannt, der Vorreiter im Verbraucherkredit. Sie waren tonangebend für die Einführung von Kettenkrediten, bei denen ein Einstiegskredit mit Zusatzkreditangeboten zu einer Dauerverschuldung ausgebaut wird, bei der Ratenverzug nicht Ende sondern Beginn einer lukrativen Kunden-Bank-Beziehung ist. Ihr Werbespruch „Bank mit den kleinen Raten“ ließ die Laufzeiten explodieren.

Sie erfanden die Restschuldversicherungen als Hauptgewinnfeld im Kredit, bei denen große Teile der Prämie einer Versicherung ohne Risiko an die Bank als Provision zurückfließt. Bei dieser Bank konnte man beobachten, wie nach einer Niedrigzinsphase plötzlich alle bestehenden Niedrigzinskredite der Verbraucher „freiwillig“ anlässlich eines kleinen Zusatzkreditbedarfs in Hochzinskredite umgeschuldet wurden, als die Zinsen dann wieder sanken, plötzlich die Hochzinskredite stehen blieben und die Zusatzkredite zusätzlich gewährt wurden, ohne die Hochzinskredite anzupassen. In den USA funktionierte dies im Hypothekenkredit so, dass in der Niedrigzinsphase, als die Banken Zinssteigerungen ahnten, fast 1/3 der Kredite „freiwillig“ in variable Kredite umgeschuldet wurden, die dann bei der geringsten Steigerung die Haushalte ruinierten. Die Idee, ein gesondertes kostenpflichtiges Kreditkonto zu führen, konnte man bei Citibank ebenso abschauen wie Rückrechnungsformeln, mit denen ein Teil der im Voraus versprochenen Zinsen bei Kündigung bei der Bank verblieben. Die mehrfache Kündigung von Restschuldversicherungen mit jeweils Totalverlust der im Voraus bezahlten Prämien gehörte ebenfalls zur Verdienstspanne der stolz ausgewiesenen „Provisionserträge“.

Auch im Inkassowesen war man anderen voraus, indem man Outsourcing betrieb und die hässlichen Rückwirkungseffekte effektivierter Beitreibungsmethoden vom eigenen Namen fern hielt. Die Bank schaffte es auch, trotz insgesamt weit überdurchschnittlicher Erträge pro Kreditgeschäft bei den Preistabellen bei der Stiftung Warentest immer noch oben an zu sein, weil die Kosten so gut verteilt waren, dass die Tester es bis heute nicht merken, wo und bei wem sie eigentlich anfallen. Auch die Idee, dem Kunden keinen klaren Preis mehr zu sagen, und, obwohl man mit niedrigen Zinsen geworben hat, ihn erst in Verhandlungen hineinzuziehen oder als bestehenden Kreditkunden für eine Umschuldung zu gewinnen, um ihn dann mit einem „persönlichen“ risikoadjustierten Preis einzufangen, der weit darüber lag, kam wohl aus diesem Hause. Fast wäre es der Bank auch noch gelungen, die vom Überziehungskredit abgekoppelten zinsunsensiblen Kreditkartenkredite beim Massenpublikum abzusetzen, als man mit der Bundesbahn vereinbarte, dass jeder Bahncardinhaber automatisch Inhaber einer solchen Citibank-Kreditkarte sein musste. In den USA hat Citigroup sich mit Kreditkartenschulden einen Namen gemacht, wo es ihr gelang, bis zu 8 Kreditkarten mit jeweils eigenem Kreditrahmen an New Yorker Schuldner abzusetzen und Briefe von der MasterCharge Division zu schreiben, dass man noch Kredite aufnehmen solle, während das VISA Department schon vollstreckte. Sie kaufte sogar zweifelhafte Finanzdienstleister auf, störte sich nicht an den hohen Strafen für deren Geschäft, und gründete mit Citifinancial eine Nichtbank, die hochpreisliche Kredite an ärmere Kunden abgeben sollte. Schuldnerberater hier und jenseits des Atlantiks kannten Citibank als einen der Hauptgläubiger Überschuldeter.

KREDITE FÜR DIE KLEINEN LEUTE – DIE KEHRSEITE DER MEDAILLE

Nun ist dies alles aber nur die eine Seite der Medaille. Der Erfolg von Citibank ist zugleich auch ein Erfolg für die Gesellschaft. Citibank hat den Konsumkredit populär gemacht und ihn gegen die auch heute noch in der finanziellen Allgemeinbildung anzutreffende patriarchalische Grundstimmung verteidigt, das „Leben auf Pump“ sei nichts für kleine Leute und man müsse ihnen Sparsamkeit statt Kredit beibringen. Damals stellte die KKB extra Mitarbeiter der noch gewerkschaftseigenen BfG ein, die die Sprache des Volkes sprachen, schaffte die ersten Wohnzimmerfilialen, wo die Arroganz der Bankenmacht fehlte, bekannte sich dazu, auch den kleinen Mann und die kleine Frau für kreditwürdig zu erklären. Der Chef der KKB in Deutschland, Stefan Kaminsky, schrieb das lesenswerte Buch „Banken für Menschen“, das diesen Weg John Reads, des Vordenkers in den USA, vorzeichnete. Citibank zeigte aller Welt, dass das Konsumkreditgeschäft und überhaupt das Kreditgeschäft mit einfachen Leuten möglich, lukrativ und ohne Ideologie betrieben werden könne. Sie waren dabei so erfolgreich, dass sie überall Nachahmer fanden, die teilweise nur kopierten, was bis in den Sparkassensektor hineinreichte, der seine Kunden verlor, weil er von ihnen bis dahin verlangt hatte, dass sie sich an seine Produkte und Sparideologie anpassten, während er sich selber kaum bewegte.

Heute gilt auch in Deutschland, dass der Zugang zum Kredit, der „Access to Financial Services“ eine ganz wichtige Bedingung gerade für die Teilhabe der 40% der Bevölkerung am wirtschaftlichen Fortschritt ist, deren Lebenseinkommen kein Ansparen zulässt und die darauf angewiesen sind, sich ihr zukünftiges Einkommen zu leihen, damit sie die Investitionen in Bildung, Kinder, Haus, Wohnung und Mobilität schaffen können. Citibank suchte den Kontakt zu den normalen Menschen, sponsorte Kirchenfenster in Arbeiterorten statt Kunstobjekte in Vorstandsetagen. Es finanzierte sogar Sozialarbeiter und hatte von allen Privatbanken das größte Engagement in der modernen finanziellen Allgemeinbildung. Es unterstützt Verbraucherkongresse und nimmt an Diskussionen teil.

Die Idee, die Liquidität der kleinen Leute zu sichern, ist die Leitidee dieser Bank. Dass dies nur funktioniert, wenn dabei auch Geld verdient wird, ist weiter richtig. In der Alternative, lieber keine Kredite als gefährliche Kredite, ist die Antwort keineswegs so einfach, wie es sich viele machen.

Wollte man Fluch und Segen der Citibank für die Menschen empirisch untersuchen, so erscheint die Prognose über den Ausgang mehr als unsicher. Musterfälle für das eine sind in der Presse genug bekannt geworden. Für das andere wissen wir nur, dass die Kunden von Citibank selber sehr häufig das kritische Urteil der Verbraucherschützer und Sozialarbeiter nicht unbedingt teilen.

VERANTWORTLICHE KREDITVERGABE – EINE NEUE DISKUSSION

Die Konferenzserie der Europäischen Koalition für Verantwortung im Kredit, wie sie ja auch jetzt am 6. Juni in Hamburg wieder stattfindet, ist eine Chance, das Problem ganz neu gerade auch mit den Banken wie Citibank, RBS, Santander, Cetelem, Sofinco, GE Money zu diskutieren, die positiv ausgedrückt den Kreditmarkt demokratisieren und Risiken bei Kreditnehmern auf sich nehmen, die andere Banken nicht wollen. (Dabei sei angemerkt, dass die politische Propaganda mit dem Microlending, das außerhalb des Bankensektors die Probleme lösen soll, von der empirischen Bedeutung im 0,0001% Bereich gesehen eines der größten Schwindelunternehmen zur Verdeckung der eigentlichen Problem des Ausschlusses ganzer Bevölkerungskreise aus dem Finanzsystem darstellt).

Der andere Traum, dass die reicheren Konsumenten die Kosten der Ärmeren solidarisch mit übernehmen und damit die bereichsspezifisch höheren Kosten und Ausfälle ausgleichen, ohne dass „Die Armen mehr bezahlen“ (The Poor Pay More), wird dabei selbst von seinen Anhängern widerlegt. Auch sie nehmen ihre Kredite dort auf, wo sie am billigsten sind. Die Spanne nimmt aktuell extrem zu. Zwischen 6% und 26% zahlt man im Konsumkredit, zwischen 4% und 12% im Hypothekenkredit. Wenn man die sonstigen Kosten für Risikokunden (verzinslicher Kreditrahmen, Überziehungsprovisionen, Sondergebühren für fehlende Deckung, Verzugs-, Inkassokosten und Zwangsvollstreckungsverluste) hinzuzählt, kommt man auf ein Vielfaches der Preise. Diese Preisdifferenzen gelten inzwischen in allen Banksektoren.

Eine Diskussion zwischen Schuldnerberatern, Verbrauchervertretern, nicht gekauften Wissenschaftlern, sozial besorgten Politikern und modernen Bankern muss beginnen. Der massenhafte Abschreibungsbedarf bei Citibank und anderen macht deutlich, dass auch volkswirtschaftlich der Weg, faktische Insolvenzen beim Verbraucher zu ignorieren und auf eine Zukunft mit Lottogewinn zu spekulieren, nicht gangbar ist. Umgekehrt wird aber ein Kreditverbot für Haushalte an der Liquiditätsgrenze verheerende soziale Auswirkungen haben.

Verantwortliche Kredite meint Kredite für alle, bei denen das individuelle Überschuldungsrisiko in einem vernünftigen Verhältnis zu den Chancen steht, die der Kredit eröffnet (genauso wie übrigens das Verkehrsunfallrisiko in einem angemessenen Verhältnis zur Chance der Mobilität stehen muss)

Dabei ist vorurteilslos zu klären, welche Praktiken und Produkte dem Umstand geschuldet sind, dass es hier um eine andere Klientel geht. Da wird man einiges akzeptieren müssen, was beim Hypothekenkredit für die Villa nicht angebracht erscheint. Wir müssen auch die Verbraucher selber zur Mitarbeit heranziehen, sie so bilden, dass sie ihre Risiken und Kosten selber minimieren. Überschuldung kann auch kein sozialer Freibrief sein. Umgekehrt aber müssen Grenzen beachtet werden, jenseits derer ein produktiver Kredit quasi unwahrscheinlich wird. Dazu gehören Wuchergrenzen, die effektiv eingehalten und nicht über das Cross Selling von verbundenen Produkten unter den Augen einer ignoranten Rechtsprechung umgangen werden.

POLITIK MUSS RAHMEN SETZEN

Die Politik kann auch nicht mit den sehenden Augen der Justizministerin die Liberalisierungen aus Brüssel gutheißen, die uns das Chaos der Kreditkartenkredite sowie den speziellen Ausbeutungsmarkt für Arme etwa bei den Überziehungsprovisionen und den kostenpflichtigen Kreditrahmen ins Land holt. Gemeinsam mit den Banken, die für die Demokratisierung der Kreditvergabe stehen, muss denjenigen das Handwerk gelegt werden, die erst mit finanzierten Immobilienanlagen („Schrottimmobilien“) keineswegs bankrotte Verbraucher ruinieren, anschließend diese ruinierten Kredite an Hedgefonds verkaufen und das ganze dann auch noch mit eigenen Anlagen und Großkrediten finanzieren, um am Ende, wenn sie Pleite sind, den Staat um Hilfe zu rufen.

Was wir brauchen ist ein sauberes Kreditsystem, in dem auch mit ärmeren Verbrauchern so viel verdient werden kann, dass sie mit Finanzdienstleistungen versorgt werden. Was wir nicht brauchen ist aber ein System, bei dem unter dem Deckmantel der Versorgung Haushalte bewusst ruiniert und das Tor für Wucherer und Hasardeure weit geöffnet wird, damit sie sich individuell dadurch bereichern können, dass sie sozialen Schaden anrichten. Sozialer Verbraucherschutz, den man in Brüssel bisher nicht einmal buchstabieren will, obwohl man behauptet, man bereite das höchste Niveau für alle vor und mache nationale Gesetze überflüssig, ist so gesehen eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit, um unser Finanzsystem vor der schleichenden Aushöhlung zu schützen, die irgendwann auch in Deutschland zum Zusammenbruch auf Kosten der Steuerzahler führen muss.

ID: 41186
Autor(en): UR
Erscheinungsdatum: 19.04.08
   
 

Erzeugt: 19.04.08. Letzte Änderung: 05.05.08.
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