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Kontoüberziehungskredite: Keine Probleme bei überhöhten Zinsen – findet eine neoliberale Modellstudie in den Niederlanden


Im Juni 2014 wurde in den Niederlanden eine Studie zu den Überziehungszinsen veröffentlicht. Eigentlich ist dies ein Skandal. Sie hat ähnliche Qualitäten wie die einst vom britischen Office of Fair Trading propagierte Studie, die „wissenschaftlich“ nachwies, dass Wuchergrenzen bei Krediten nur den Armen schaden würden. Während diese Studie inzwischen ganz offiziell in Großbritannien gerade in Bezug auf ihre „empirischen“ Teile als zweifelhaft bezeichnet wird, hat die niederländische Regierung nun deutlich gemacht, dass Studien weiterhin ein bewährtes Mittel sind, um Regulierungen der Banken zunächst hinauszuschieben und dann abzuwehren. Das Konzept ist einfach: Man konstruiert ein neoliberales Modell der Wirklichkeit und lässt in diesem Modell die mündigen Verbraucher mit den wettbewerbstreuen Banken konkurrieren. Dass diese Wesen dann jede Einmischung von außen ablehnen müssen, ist im Ansatz angelegt. Ob es eine direkte Reaktion auf die Richtlinie zum Mindestgirokonto und die deutschen Studien zum Wucher beim Überziehungskredit sind, lässt sich nicht klären.

In der Studie „Overdrafts on personal current accounts - A study into market power“ vom 12. Juni 2014, ausgeführt für die niederländische Behörde für Verbraucher und Markt, kommen Nils von Hinten Reed, Ewa Mendys-Kamphorst und Prof. Maarten Jannsen zu dem Ergebnis, dass es keine Machtprobleme in diesem Segment gibt. Schaut man sich die Vita von Jannsen an, so kann dies kaum erstauenen. Der Volkswirt ist ein neoliberaler Spieltheoretiker und Informationsökonom an der Universität Wien. Seine drei Artikel zur „Verbraucherforschung“ betreffen Modellannahmen zum Auswahlverhalten von Nachfragern und haben mit Verbraucherforschung wenig gemein. Die Studie arbeitet auf der Grundlage eines rein informationstheoretischen Marktmodells mit dem Durchschnittsverbraucher, wodurch die eigentlichen Probleme der Ausbeutung der Unterschicht überdeckt werden können. Außerdem untersucht sie die Marktmacht der Anbieter (vier Anbieter beherrschen dort den gesamten Markt) nicht in Bezug auf die Verbraucher sondern wie im Kartellrecht üblich in Bezug auf die Anbieter insgesamt. Ein Nachweis, dass die hohe Anbieterkonzentration in den Niederlanden (vier Anbieter beherrschen dort den gesamten Markt) nicht zu höheren Preisen für die Verbraucher führt, wird nicht erbracht. Die von den Autoren immerhin erkannte große Spanne bei den Überziehungszinsen wird nicht erklärt, obwohl das risk based pricing seit langem auch diesen Forschern bewusst sein müsste. Stattdessen werden Zahlen von anderen Ländern mit anderen rechtlichen Rahmenbedingungen herangezogen und unter der Annahme eines funktionierenden Wettbewerbs der Markt für Überziehungskredite mit den Märkten für Konsumentenkredite und/oder Kontokorrentkredite zusammengefasst. Das angelsächsische Pendant zu den kontinentalen Überziehungskrediten, die Payday Loans sowie Kreditkartenkredite werden zur Zeit in England ganz anders diskutiert und zum ersten Mal gesetzlich gedeckelt. Davon nichts in dieser Studie. Der Nachweis, dass ärmere Verbraucher nicht durch Preisdiskriminierung benachteiligt werden, wird ebenso wenig erbracht. Die „vulnerable consumers“, also die Überschuldeten, würden keine höheren Überziehungszinsen zahlen als die „occasional users“. Allerdings werden diese Gruppen dann dadurch identifiziert, dass sie die höchsten Überziehungsvolumina hätten, was angesichts der seit Jahrzehnten vorliegenden Zahlen ein absurder Indikator ist, da die Armen sich in den Überschreitungszahlen und nicht in den Überziehungszahlen spiegeln, deren Volumen aber bezeichnenderweise auch in den Niederlanden nicht zurückgegangen ist.

Eine ähnliche Philosophie finden wir jetzt auch in der spanischen Gesetzgebung zum Schutz vor Obdachlosigkeit durch Zwangsvollstreckungen aus unverantwortlichen Hypothekenkrediten. Hier muss der Verbraucher jetzt seine Familienverhältnisse offen legen, seine Not nachweisen, darf kein ausreichendes Einkommen haben, damit das Finanzsystem Gnade vor Recht ergehen lässt.


Die Armen zahlen mehr

Das Problem der ärmeren Verbraucher, das unter dem Motto „Die Armen zahlen mehr“ (so der Titel des Buches über Kredite von David Caplovitz 1963) seit langem international bekannt ist, liegt in ihrer ohnmächtigen Situation, mit der sie jeder Bank in Liquiditätsengpässen und zeitweiser Überschuldung gegenübertreten. Die Autoren kommen dann auch auf Grund ihrer neoliberalen Modellannahmen zu dem wenig überraschenden Ergebnis, dass für den Staat keine Handlungserfordernisse bestehen. Abgesehen von den methodischen Mängeln ist die Präsentation eines solch umfassenden Ergebnisses wissenschaftlich in keiner Weise vertretbar. Zwar wird auf S. 50 eingestanden, dass höhere Limits und häufigere Nutzung eher mit convenience der reicheren Konsumenten als mit Verwundbarkeit zu tun haben. Auf S. 49 heißt dann aber: „… Überziehungszinssätze warden nicht höher mit häufigerer Nutzung, Dauer oder Höhe der Überziehung. Risikobehaftete Verbraucher zahlen nicht mehr. Es gibt daher keine Anzeichen dafür, dass verwundbare Verbraucher preislich diskriminiert werden.“

Der Schindluder, der seit der Erfindung des „verwundbaren Verbrauchers“ zu Erklärung nicht funktionierender Marktmechanismen erst bei der EU-Kommission, dann beim deutschen Juristentag und in den Gesetzesbegründungen getrieben wurde, trägt hier seine Früchte. Nicht die Ungerechtigkeit eines Marktes, der im risk based pricing denjenigen die sozialen Risiken aufbürdet, die sie am wenigstens tragen können und auch nicht verschuldet habe, ist Gegenstand der Untersuchung sondern die Unfähigkeit der Schwächsten, den Anforderungen des Marktes gerecht zu werden.


Wann kehrt endlich die soziologische Überschuldungsforschung zurück?

Der Neoliberalismus hat die empirische Forschung durch Modellannahmen ersetzt. In diesen Annahmen spielt man dann mit den marktmäßigen Verhaltensmodellen. Es fehlt immer noch eine breite Forschung in Europa und den USA, wie sie in den 1960er Jahren begann, die sich mit der Ausbeutung der Armen im Finanzsystem und besonders bei den Kleinkrediten auf dem Konto und davon getrennt (Payday loans in England, Telefonkredite in Skandinavien) beschäftigt. Weder EU noch nationale Stellen geben hierfür Geld aus. Dabei wird mit Umschuldungen, Überziehungsprovisionen, mit wucherischen Restschuldversicherungen und der Ausnahme vom Zinseszinsverbot beim Girokonto die Not der Armen gnadenlos ausgebeutet. Das ist nicht Gegenstand der Holländer, die früher einmal Vorbild für wissenschaftlich hochwertige sozial orientierten empirischen Untersuchungen waren. England, Irland und Holland bildeten lange das neoliberale Rückgrat für Brüssel und stellten deren Marktkommissare. Entsprechend schließen die einschlägigen Richtlinien zum Verbraucher- und Hypothekenkredit jede soziale Rücksichtnahme aus. Trotz anderweitiger Beteuerungen aufgezwungen von den verheerenden sozialen Folgen in England (1 Mio Menschen machten von der Nahrungsmittelhilfe Gebrauch, meldet Church Action on Poverty) werden die neoliberalen Informationsmodelle aus England und den Niederlanden weitergesponnen.

Immerhin gibt es im Europaparlament neue Tendenzen. Mit dem Mindestgirokonto auf europäischer Ebene sowie dem Pfändungsschutzkonto in Deutschland wird das Problem sozialer Diskriminierung durch unverantwortliche Kreditvergabe nicht mehr ganz geleugnet. Dass der Markt soziale Diskriminierung bis zur Schmerzgrenze sozialen Zusammenhalts fördert, sollte auch aus Amsterdam wie Paris, Birmingham und Los Angeles bekannt sein. Dass dies der Staat gerade zugunsten von Banken annimmt und solche Studien gezielt in Auftrag gibt, ist merkwürdig angesichts der Rechtfertigungsversuche für die Milliarden an Steuergelder, die allein dazu dienen, die durch unverantwortliche Kreditvergabe insgesamt gerissenen Löcher zu stopfen.


ID: 48515
Autor(en): UR/DN
Erscheinungsdatum: 19.06.14
   
 

Erzeugt: 19.06.14. Letzte Änderung: 23.06.14.
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