verantwortliche-kreditvergabe
HOME   IMPRESSUM   DATENSCHUTZ   SITEMAP
Search OK

 
Home
Mythos Schuldnerberatung: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ 16.5.2013


Der nachfolgende Text wurde als Vortrag am 16. Mai 2013 in der Vortragsreihe zum Thema Schulden- und Budgetberatung Fachstelle für Schuldenfragen im Kanton Zürich PFARREIZENTRUM LIEBFRAUEN| ZÜRICH | SCHWEIZ, 16. Mai 2013. Er knüpt an eine Reihe von Vortragen zu Mythen der Geldgeselschaft an, die bei der Schuldnerberatung Bern 2006 ("Mythos Jugendverschuldung") sowie bei Amnesty International, Universität Köln (Mythos Microlending) gehalten wurde. Sie sind Bestandteil des gleichnamingen Kapitels in der zweiten Auflage des Buches "Die Geldgesellschaft", die ende 2013 im VS-Verlag erscheinen wird. Auf die Einleitung zur Insolvenzrechtsreform in Deutschland wird hier verzichtet. Sie erscheint gesondert als Editorial in der Zeitschrift Verbraucher und Recht Heft 6, 2013.

 

Udo Reifner

Mythos Schuld (ner) (beratung)

1. Wozu Schuld?: Was ist eine Schuld? – Schuldnerbashing - Schuld im Recht; 

2. Warum sind wir schuldig?
- Das System der Verwechslung - noch einmal von vorne (Pater noster)

3. Warum sind Kreditnehmer keine Schuldner? - Kredit, Darlehen, Geldmiete, Schuld, Schuldner, Nutzer im römischen Recht - Finanzberatung für Verbraucher

Vortragsreihe der Fachstelle für Schuldenfragen im Kanton Zürich Pfarreizentrum Liebfrauen | Zürich | Schweiz, 16. Mai 2013

Textauszug

(Gesamter Text als pdf sowie Powerpoint zum download im Anhang)

Gläubiger sind die Eigentümer von Geld, die es selber nicht verwerten können. Sie brauchen die Schuldner dieser Welt, um den Wert des Geldes über die Zeit zu retten und zusätzlich noch durch Zinsen zu vermehren. So nutzlos wie für einen Autovermieter seine Autos sind, wenn er keine Kunden findet, so nutzlos sind die nicht für Konsum bestimmten Milliardenbeträge der Besitzenden dieser Welt, wenn sie im Kredit als Darlehen oder Investment keine Nutzer finden, die ihr Geld vermehren. Gleichwohl diffamieren wir die einzige produktiven Mitglieder unser Wirtschaft, die Kreditnehmer aus Verbraucher, Unternehmen und Staat als Schuldner. Woher kommt das?
 

1         Von der Schuld

Die Geringschäatzung der Schuldner fängt bei den Begriffen an, in denen wir denken. Im 19. Jahrhundert wurden die Begriffe im Kopf auf die neuen Notwendigkeiten zugeschnitten. Dass aus Luthers Schrift über die Freiheit eines Christenmenschen die Freiheit zur hemmungslosen Geldvermehrung werden konnte, die nicht dasselbe ist, ist den meisten nicht aufgefallen. Dass die Befreiung Südamerikas vom Kommunismus ebenso wie die Befreiung der Arbeiterklasse durch den Kommunismus eher als Militär- bzw. Parteidiktatur in Erscheinung trat, haben uns die Mütter des Plaza Mayor ebenso wie die Menschen des Prager Frühlings allerdings vermitteln können. Freiheit war es nicht, was sie versprachen. Ein anderer Zentralbegriff des 19. Jahrhunderts ist der der Schuld. Er ist der Zentralbegriff „der Geldgesellschaft in uns“. Mit ihr bewältigen wir die Kreditgesellschaft und bauen darauf unser gläubigerhaftes Denken auf. Sie liegt auch der Berufsbezeichnung der Schuldnerberatung zugrunde, mit der sie andere stigmatisiert. Als jungem Assistenten, der über Verbraucherverschuldung promovierte, zweifelte der Dekan der juristischen Fakultät der Freien Universität Berlin öffentlich die Relevanz dieser Arbeit mit dem Vorwurf an, ich würde nur im Bodensatz der Gesellschaft herumwühlen. Ja das tun dann auch die Schuldnerberaterinnen und Schuldnerberater und mit solchen Schmierfinken will man nichts zu tun haben. Deshalb verstehe ich auch, dass manche von ihnen lieber gläubigerhaft denken und auftreten und wie sich einst die Pharisäer von der Sünderin distanzieren. Aber halt: das ist falsch. Die Prostituierte der Bibel hatte Sünde begangen, aber die Schuldner? Wir haben allen Grund darüber nachzudenken, bevor die erste und zweite Welt selber zu Schuldnerländern geworden sind.

Sollte sich nämlich herumsprechen,

·         dass die Geldgläubiger nichts für diese Gesellschaft leisten,

·         dass es nur die Schuldner sind, die unsere Wertschöpfung betreiben,

·         dass kein Cent Zinsen entstehen würde, wenn nicht Schuldner für die zeitlich begrenzte Verfügungsmacht über eine wertlose Forderung mit ihrer Arbeit einstehen würden,

würden also die Menschen erkennen,

·         dass das Geld erst über den Kredit in allen seinen Formen als Darlehen, Wertpapier, Anteilsschein oder Future genutzt werden muss, um sich überhaupt zu erhalten geschweige denn zu vermehren,

dann könnte es zu spät sein, um sich für die milliardenfache Diffamierung bei denen zu entschuldigen,

·         die nun ihrerseits wie die Chinesischen Staatsfonds zu unbarmherzigen Gläubigern geworden sind, oder aber

·         die wie die Südamerikaner die Vertreter der Weltgläubiger wie Weltbank und IWF mit samt ihren Ratschlägen und Sonderziehungsrechten vor die Tür setzen,

·         oder auch bei der Mehrheit des eigenen Wahlvolks, weil es ihnen als Kreditnehmern ähnlich ergangen ist.

Doch Überschuldete werden keine Revolution anzetteln. Das besorgen die Gläubiger, wenn sie bei der unendlichen Masse des zur Verwertung stehenden Geldes sich gegenseitig zu Schuldnern machen müssen, um das eherne Gesetz des zinstragenden Geldes zu erhalten. 

3.1       Finanzberatung für Verbraucher – ein neuer Name für die Schuldnerberatung

Der Kredit- und Darlehnsnehmer heute ist daher nur insoweit Schuldner, als er wie der Wohnungsmieter Zinsen schuldet. Die Kapitalrückgabe schuldet er gerade nicht und deshalb sollten wir aufhören, unsinnige Statistiken über die Verschuldung der Verbraucher zu verbreiten oder aber alle bisher ignorierten Nutzungen in der Gesellschaft wie die Nutzung des Vermögens der Eltern durch die Kinder ebenfalls als Schulden anrechnen.

Wir sollten ferner öffentlich klären, dass die Kündigung von Geldmieten ein Vertragsbruch ist, der in der Tat aus Nutzungskapital unvorhergesehen Schulden und aus den produktiven Kapitalnutzern geächtete Schuldner macht. Die außerordentliche Brutalität dieses Entzugs einer versprochenen Nutzungsmöglichkeit für die Lebensverhältnisse der Betroffenen ist bei den Zwangsräumungen der Kreditnehmer in Spanien, USA und England wenigstens noch deutlich vor Augen. Sie ist nicht weniger schlimm bei den Überschuldeten, auf die sich die Gerichtsvollzieher, Anwälte und Inkassodienste stürzen und die in ihrer Not auch noch von Kleinkreditspezialisten und kommerziellen Schuldenberatern ausgenutzt werden. Dieser Vertragsbruch der Kreditgeber bedarf ebenso wie der Vertragsbruch der Arbeitgeber und Vermieter einer sorgfältigen Rechtfertigung, die beim Geld weit schwerer fallen dürfte, weil durch die Kündigung eines Kredites ja nur das Rechtsverhältnis, ökonomisch aber nichts geändert wird. Statt eines geachteten vertraglich berechtigten Kapitalnutzers haben wir nun einen geächteten Schuldner und Restanten, dessen Not sich die Bank als notleidendes Kreditverhältnis überstülpt, um in der Opferpose ihre Fehlinvestition dem Kreditnehmer anzulasten.

Für die Schuldnerberatung empfehle ich nicht nur in Deutschland sondern international sich zu den Errungenschaften der bürgerlichen Demokratie zu bekennen und den furchtbaren Namen Schuldnerberatung gegen das einzutauschen, was sie wirklich machen: Finanzberatung für Verbraucher mit dem Schwerpunkt auf gekündigten Kapitalnutzungsverhältnissen. Sie sollten dann auch die Verbraucher, die Sie beraten, wie alle Beratungsberufe wertneutral als Klienten bezeichnen und aufhören, die Kündigung und Fälligstellung der Bankkredite als Gottgegeben hinzustellen und nur noch die Ursachen dafür bei den Kreditnehmern zu suchen. Das neue internationale Rechtsprinzip der verantwortlichen Kreditvergabe, wie es das Schweizer ebenso wie das EU-Recht vorsieht und der G20 Gipfel mit seiner Erklärung international verankert hat, gibt auch Ihnen den Auftrag, dem Schuldnerbashing ein Ende zu bereiten. Sie sollten der Öffentlichkeit und ihren verfolgten Klienten erklären, dass die als Schuldner diffamierten Kapitalnutzer dieser Welt es sind, die die Werte erhalten und vermehren und die Gläubiger ohne sie auf einer wertlosen Informationsmasse sitzen würden.

Ich weiß, das ist etwas zu viel verlangt, aber immerhin hatten wir vor 30 Jahren in Hamburg schon einmal so eine Finanzberatungsstelle mit rundem Tisch und würdiger Kulisse aufgebaut, die dem für die Finanzierung über das Arbeitslosenprogramm zuständigen  Sozialamt Harburg aber viel zu erfolgreich war, so dass es sie schloss. Sie können aber schon einmal mit den neuen Slogans anfangen: Statt „Raus aus den Schulden“  hieße es dann „Mehr Kündigungsschutz für Kapitalnutzer in Schwierigkeiten“ und „Stoppt das Geschäft mit der Not und den Inkassowahn“, „Überschuldungsprävention“ würde durch „Zähmt den Wucher, gegen Umschuldungsgewinne“ ersetzt. Insgesamt wäre das „Du sollst Deine Schulden bezahlen“ mit dem Prinzip der „verantwortlichen Kreditvergabe“  zu konfrontieren. Die „Schuldenkrise“ hieße dann „Gläubigerkrise“ und das Schuldnerbashing würde als Kollektivbeleidigung geahndet.

Dann können Sie in Zukunft das Vater Unser auch einmal so beten:

Vergib uns unsere Geringschätzung derjenigen, die mit ihrem Einkommen unser Kapital verwerten und unseren Reichtum erwirtschaften, wie auch wir vergeben unseren Gläubigern.



ID: 48308
Autor(en): UR
Erscheinungsdatum: 16.05.13
   
 

Erzeugt: 16.05.13. Letzte Änderung: 30.05.13.
Information zum Urheberrecht der angezeigten Inhalte kann beim Institut für Finanzdienstleistungen erfragt werden. Aus fehlenden Angaben kann kein Recht zur freien Nutzung der Inhalte abgeleitet werden.