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Thesenpapier Frank Christian Pauli (Verbraucherzentrale Bundesverband): Das Scoring der Banken – Angemessene Risikobewertung oder intransparente und benachteiligende Kundensegmentierung? (Plenum 2)
Scoring das ist die automatiserte Bonitätsbewertung von Verbrauchern auf der Basis statistischer Annahmen über die vom Verbraucher gemachten oder über ihn gespeicherten Informationen. Scoring hat sich als schnelles Bewertungssystem am Markt etabliert, mit dem Anbieter sich ein Bild über Verbraucher machen, die sie im Fernabsatz und im heutigen Massenbetrieb sonst nicht mehr näher kennenlernen.

Seit die Eigenkapitalvorschriften von Basel II durch EU-Richtlinien verbindlich gemacht wurden, werden Scoringsysteme nicht mehr nur dazu genutzt die Entscheidung über einen Kredit zu treffen, sondern vermehrt auch über dessen Konditionen.

Scoring, so die Anbieter, sei erforderlich um Transparenz über den Kunden zu erhalten. Scoring ermögliche erst die moderne Gestaltung von Kreditprodukten. Scoring erlaube eine individuelle Berücksichtigung des Verbrauchers und sei objektiver als die Bauchentscheidungen des Kreditsachbearbeiters früher sein konnten.

Scoring, so die Kritiker, erreiche beim Verbraucher genau das Gegenteil, nämlich Intransparenz gegenüber dem Anbieter, seinen Konditionen am Markt und den Verlust der Verhandlungsfähigkeit, wenn nur noch auf die Ergebnisse geheimer und nicht nachvollziehbarer Berechnungen verwiesen wird. Scoring könne diskriminieren, sei individuell betrachtet alles andere als objektiv und die Folgen der individuellen Risikobewertung könnten das Risiko des Zahlungsausfalles sogar erhöhen.

Im Jahre 2006 veröffentlichte das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz eine Studie des Unabhängigen Landesbeauftragten für den Datenschutz in Schleswig-Holstein, die zu dem Schluss kam, dass Scoring eine Reihe von Verbraucherinteressen beeinträchtigt. Gesehen wurden insbesondere individuelle Abweichungen von den statistischen Annahmen und die Gefahr diskriminierender Wirkungen. Der Konflikt mit dem § 6a BDSG über das Verbot automatisierter Ablehungen wurde diskutiert, aber zunächst einmal auch ein Umsetzungsdefizit des Gesetzes festgestellt.

Im Jahre 2007 beauftragte der Verbraucherzentrale Bundesverband die GP Forschungsgruppe ein Mysteryshopping durchzuführen und die Perspektive des Verbrauchers bei der Kreditaufnahme mit Scoring einmal genauer zu analysieren. Ergebnis: Die Verbraucher wurden ganz überwiegend nicht über das Verfahren und seine Ergebnisse aufgeklärt. Sehr oft nahmen die Mitarbeiter auf die vom Computer errechneten Ergebnisse als Grundlage ihrer Entscheidung Bezug. Frappierend: Die hinsichtlich ihrer Bonität genau analysierten Tester erhielten sehr unterschiedliche Bewertungen und Angebote, die keine erkennbare Korrelation zu ihrer Bonität erkennen ließen.

Ende 2007 hat das Bundesinnenministerium erste Entwürfe einer Novelle des Datenschutzrechtes vorgestellt, dessen endgültige Entwürfe jetzt diskutiert werden und die sich spezifisch auch um die Problematik des Scoring drehen. Scoringverfahren sollen Anforderungen genügen und den Betroffenen sollen wesentliche Gründe der Entscheidung erläutert werden müssen. Die Verwendung wohnortbezogener Angaben ist besonders kundzutun und die verwendeten Daten sind offenzulegen.

Dies macht die Diskussion über Scoring, das längst den Bereich der Finanzdienstleistung verlassen hat, aktueller den je.

Schafft Scoring Transparenz oder steckt es Verbraucher in statistische Schubladen und niemand kann die korrekte Zuordnung noch nachvollziehen? Schaffen Angebote mit Scoring mehr Objektivität oder geht der Marktvergleich verloren? Ist Scoring das Problem an sich oder die Art des Umganges damit? Macht es Sinn ein höheres Risiko teurer zu machen oder löst die höhere Belastung das Risiko vielleicht sogar erst aus? Was könnte man anders machen? Kann Scoring zur selffulfilling prophecy werden oder ist die Furcht vor Scoring unbegründet? Erwarten wir vom Scoring zuviel?

Kunde und Bank suchen Transparenz und eine zutreffende Bonitätsbewertung – sind sie in ihrem Bestreben Partner oder Gegner?

Diese Fragen sollen diskutiert werden mit

Michael Wilken – der das Mystery Shopping der GP Forschungsgruppe mit erstellt und als Tester auch hautnah erlebt hat
Thilo Feuchtmann – der als Risiko- und Produktmanager mit der Teambank ein Kreditmodell gestaltet, dass auf Scoring als einer wesentlichen Angebotskomponente baut und über Dritte auch möglichst einheitlich und berechenbar vertrieben werden soll
Dr. Thilo Weichert – der als Datenschutzbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein die Praxis kennt und beobachtet und die Studie des Verbraucherschutzministeriums erstellt hat und Regelungsbedarf sieht.
Franz-Josef Nick – der mit der Citibank risikoadjustierte Angebote gestaltet und Scoring einsetzt und als Vorstand Recht die Anforderungen dabei im Blick haben muss.


POSITION DES VERBRAUCHERZENTRALE BUNDSESVERBANDES

Der Verbraucherzentrale Bundesverband registriert mit Sorge, dass die Wirtschaft zunehmend personenbezogene Daten für Kundenprofile verwendet, um Verbraucher vor Vertragsabschlüssen zu segmentieren und zu bewerten. Dies geschieht mittels automatisierter Datenverarbeitung, in der Regel in der Form des Scoring.
Dabei beschränken sich ScoringVerfahren bei der Kreditvergabe nicht mehr nur auf die Entscheidung, ob ein Verbraucher einen Kredit erhält, sondern auch zu welchem Preis. Darüber hinaus werden ScoringVerfahren zunehmend in anderen Wirtschaftszweigen eingesetzt.

Die Verwendung von Scoring-Verfahren ist aus unserer Sicht überhaupt nur dort zulässig, wo kreditorische Risiken bestehen. Dies trifft etwa zu bei der Vergabe von Krediten, wo Banken vor Vertragsabschluss beurteilen können müssen, ob der Verbraucher in der Zukunft in der Lage sein wird, den Kredit zurück zu zahlen. Aber selbst hier zeigt die Praxis, dass die im Einsatz befindlichen Scoring-Verfahren die individuelle Kapitaldienstfähigkeit der Verbraucher nicht verlässlich prognostizieren können. Für Scoring-Verfahren sind daher unter Datenschutzgesichtspunkten klare Rahmenbedingungen zu schaffen.

In unserer aktuellen Untersuchung durch die GP Forschungsgruppe zur Scoring-Praxis mit 21 Testpersonen mit Echt-Biografien, die 82 Stichproben bei verschiedenen Banken durchführten,

• wurden die Testpersonen in knapp 50 Prozent der Fälle selbst auf Nachfrage hin nicht über den Einsatz von Scoring-Verfahren informiert;
• in mehr als 60 Prozent der Fälle erhielten die Testpersonen kein Angebot, die ver wendeten Daten zu kontrollieren; und
• in mehr als 90 Prozent der Fälle wurde den Testpersonen der Score und die Gewich tung der Daten nicht mitgeteilt.

Werden Verbraucher nicht über den Einsatz von Scoring-Verfahren informiert, können sie ihre Rechte nicht geltend machen. Erfahren Verbraucher nicht, welche Daten in den Verfah-ren verwendet werden, können sachliche Fehler in der Datensammlung nicht erkannt und korrigiert werden. Erlangen Verbraucher keine Kenntnis darüber, wie die verwendeten Daten gewichtet werden, wird ihnen die Möglichkeit genommen, Fehlinterpretationen zu korrigieren oder aber auch eine missbräuchliche Verwendung von Daten aufzudecken.

Verbraucher brauchen Transparenz über die Gewichtung der beim Scoring verwendeten Daten. Tests offenbaren immer wieder Diskrepanzen zwischen dem Score und der tatsächlichen Rückzahlungskapazität bei Verbrauchern. Immer noch kann im Falle eines vom Verbraucher vorgenommenen Kreditkonditionenvergleichs das Einholen einer Selbstauskunft durch die Bank zu einer Scorewert-Verschlechterung führen, wenn die Bank nicht zwischen Kreditkonditionen- und Kreditangebotsanfrage unterscheidet.

Scoring-Verfahren können Verbraucher bloß wegen einer statistischen Korrelation mit Zahlungsausfällen diskriminieren, die einer Risikogruppe zugeschrieben sind, der man den Verbraucher irrtümlich zugeordnet hat. Zur Offenlegungspflicht auch der Bewertungsrückschlüsse die man getroffen hat, gibt es folglich keine Alternative.
Die momentane Praxis der Scoring-Verfahren führt auch zu einer erheblichen wirtschaftlichen Benachteiligung von Verbrauchern. Unsere Studie konnte nachweisen, dass keine Testperson den beworbenen Bestzins erhalten hat. Wir haben also momentan einen noch nicht sanktionierbaren Lockvogelmarkt, der Wettbewerb wird zum Nachteil von Verbrauchern mit dieser Praxis empfindlich gestört.

Ob es angemessen ist, risikoreichere Verbraucher mit der höheren Kostenlast zusätzlich zu belasten, muss auch in Frage gestellt werden. Werden hier keine angemessenen Grenzen gezogen wird die Risikoabsicherung letztlich selbst zum Risiko, weil der hoch belastete, geschwächte Verbraucher bereits bei einer kleineren Zusatzbelastung ausfällt. Hier besteht zudem die Gefahr, dass die Scoresysteme solche Ausfälle messen, den ausgemachten Risikogruppen erneut zuordnen und damit künstlich geschaffene Risiken verstärken und sich fehlerhaft die eigene Richtigkeit bescheinigen. Spätestens hier werden dann sowohl die Interessen der Verbraucher, als auch der Wirtschaft, die Scoringleistungen einkaufen, durch die Intransparenz der Verfahren erheblich beeinträchtigt.
Scoring ist eine Frage des Systems, aber auch des Umgangs mit den Ergebnissen. Oft wird Scoring nicht als das betrachtet, was es nur sein kann: ein einfacher, wohl auch effizienter Schnelltest, der aber keine korrekte Ergebnisse garantieren kann und daher grundsätzlich nur in einer im Detail überprüfbaren Weise zum Einsatz gebracht werden darf.

Der bloße Verweis auf die Ergebnisse „des Computers“ – wie in unserer Studie von den Testern wiederholt berichtet, schneidet dem Verbraucher sowohl jede Verhandlungsfähigkeit, als auch die Nachvollziehbarkeit des Angebotes ab, beeinträchtigt damit unmittelbar seine Marktposition. Es realisiert sich damit exakt die Gefahr, die das Bundesverfassungsgericht bei der Gestaltung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gesehen hat und wegen der es dieses Grundrecht aus dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit gestaltet hat.

Wir fordern daher nicht weniger als den grundrechtskonformen Umgang mit Scoring und begrüßen und unterstützen nachhaltig das Bestreben der Bundesregierung, das Bundesdatenschutzgesetz in Bezug auf Scoring zu konkretisieren und die Anforderungen entsprechend deutlich zu verschärfen.

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Thesenpapier – 3. Nationale Finanzdienstleistungs-Konferenz
6.–7. Juni 2008 in Hamburg

ID: 41595
Autor(en): Frank Christian Pauli (Verbraucherzentrale Bundesverband)
Erscheinungsdatum: 04.06.08
   
 

Erzeugt: 28.07.08. Letzte Änderung: 28.07.08.
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