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Thesenpapier Werner Sanio (SFZ Mainz): Zukunft der Schuldnerberatung (Workshop S1)
ZUKUNFT DER SCHULDNERBERATUNG

– Der Entwurf des 3. Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung weist der Schuldnerberatung eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung von Überschuldungsituationen privater Haushalte zu und betont gleichfalls zum wiederholten Male den Bedarf an zusätzlichen Beratungsstellen, um die Nachfrage angemessen befriedigen zu können. Die Schuldner- und Insolvenzberatung in Deutschland steht dabei zurzeit (wieder einmal) vor möglicherweise weit reichenden Umbrüchen. Die bevorstehende Reform des Verbraucherinsolvenzverfahrens und die jetzt möglicherweise endlich erfolgenden ersten Schritte zur Sicherung des Kontozugangs auch für überschuldete und von Überschuldung bedrohte Menschen sowie auf europäischer Ebene die Einführung der neuen Verbraucherkreditrichtlinie sind nur einige Wegmarken, die die Ausrichtung der Arbeit der Beratungsstellen nachhaltig beeinflussen können.

– Schuldnerberatung als Arbeitsfeld der sozialen Arbeit ist in dieser Zeit gefordert, die Errungenschaften ihrer dreißigjährigen Praxis zu verteidigen und gleichzeitig Optionen für die eigene Zukunftsfähigkeit zu entwickeln. In den vergangenen Jahren, spätestens seit Einführung der Verbraucherinsolvenzordnung 1999, erleben wir eine kontinuierliche Bürokratisierung, Technisierung und Standardisierung der Beratungspraxis, durch die das Arbeitsfeld grundlegend verändert wurde. Maßnahmen angeordneter Qualitätsentwicklung, die neue Steuerung in der öffentlichen Verwaltung in Verbindung mit den allgegenwärtigen Sparzwängen der öffentlichen Haushalte und nicht zuletzt die seit der so genannten Reform der Sozialgesetzbücher SGB II und SGB XII veränderten sozialpolitischen Rahmenbedingungen, haben nachhaltige Auswirkungen auf die Arbeitsweise der Schuldnerberatung gehabt. Das Prinzip des „Fordern statt Fördern“ ist gerade für die Haushalte mit negativen Konsequenzen verbunden, die nicht nur eine insolvenzrechtliche Dienstleistung zur Beseitigung ihrer finanziell-wirtschaftlichen Notlage benötigen, sondern im besten Sinne ganzheitliche Unterstützung bei der Bewältigung existenzieller Krisensituationen suchen.

Dabei stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit der Schuldnerberatung inzwischen möglicherweise neu. Nach einer Studie der TU Chemnitz zur Praxis der InsO sehen sich 37,8 % der Menschen, die ein Insolvenzverfahren durchlaufen, trotz Restschuldbefreiungsperspektive weiterhin gesellschaftlich ausgeschlossen. Auch die Schuldnerberatung muss sich deshalb fragen lassen, ob ihre Zielsetzungen den Problemlagen angemessen sind. Christoph Mattes hat die Bearbeitung der Konsumverschuldung durch die Schuldnerberatung kritisch hinterfragt. Er kommt zu dem Schluss, dass das Ziel der Schuldenkontrolle oftmals mittels Kontrolle der Ratsuchenden erreicht werden soll. Es stellt sich somit die Frage, welche Wege es für die Schuldnerberatung als Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit zur Reflexion, Bearbeitung und möglicherweise Überwindung des Dilemmas von Hilfe und Kontrolle geben kann.

– Vielfältige Kooperationsformen mit Finanzdienstleistungsanbietern haben es der Schuldnerberatung ermöglicht, ihr Angebot auszudehnen und zusätzliche Unterstützungsformen für die Betroffenen zu entwickeln. Hierbei stellt sich jedoch die Frage, inwieweit die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit des Beratungsangebots gewahrt werden kann, wenn zunehmend Angebotsbereiche von einer Gläubiger(mit)finanzierung abhängig werden. Den intensiven Bemühungen um die Optimierung der finanziellen Rahmenbedingungen und organisationellen Abläufe auf der einen Seite steht ein eklatantes Defizit in der Beschäftigung mit dem Selbstverständnis und der qualitativen Weiterentwicklung des Arbeitsfeldes gegenüber.

– Seit Jahren ringt die Schuldnerberatung im Rahmen der AG SBV um eine gemeinsame Konzeption und eine einheitliche Weiterbildungsordnung für die Schuldner- und Insolvenzberatung (s. die Diskussion um ein Berufsbild oder mit der neuen Bezeichnung um eine „Funktions- und Tätigkeitsbeschreibung“). Durch die unterschiedlichen Interessenlagen der beteiligten Verbände – so dreht sich die Diskussion zum Beispiel um die Frage, inwieweit ehrenamtliche Tätigkeiten professionelle Beratungsarbeit nur ergänzen oder zumindest teilweise ersetzen können – ist eine Einigung derzeit nur schwer vorstellbar. Dabei gibt es im internationalen Bereich durchaus Vorbilder, wie wir es hätten besser machen können: die KollegInnen in Österreich arbeiten seit Jahren auf der Grundlage eines sehr knapp gehaltenen Berufsbildes, das ergänzt durch detaillierte Arbeitskonzeptionen in Verbindung mit einem lebendigen Qualitätsentwicklungsprozess auf der Basis fachlichen Austauschs und kontinuierlicher Reflexionsprozesse die Arbeit der Beratungsstellen weiterzuentwickeln hilft.

– Viereinhalb Millionen Zuschauer verfolgen alleine die Sendung „Raus aus den Schulden“, zahlreiche andere Formate widmen sich diesem Thema in ähnlicher Form. Die Schuldnerberatung sieht sich in der Folge mit lange Zeit nicht gekannten Wünschen ihrer Ratsuchenden konfrontiert: Lösungen für komplexe Probleme sollen sofort, spätestens jedoch kurzfristig durch die Beratungskräfte realisiert werden, die zudem die Ratsuchenden auch zuhause aufsuchen sollen. Schuldnerberatung sollte auf diese Herausforderungen nicht mit reflexhafter Abwehr reagieren, sondern ihre Arbeit an diese neuen (?) Bedarfe anpassen. Der Automatismus, mit dem Hausbesuche zu Gunsten einer Optimierung des Einsatzes von Personal, Zeit und Geld heute so gut wie von keiner Beratungsstellen mehr praktiziert werden, ist es auf jeden Fall Wert, hinterfragt zu werden, ohne dabei die virtuelle Welt des Schulden-TV in die komplexe Realität der Beratungsarbeit zu übertragen. Im Gegenteil sollte wieder häufiger das Motto „wenn du es eilig hast, dann gehe langsam“ zur Geltung kommen.

– Eine erschreckende Ignoranz zeigt die bundesdeutsche Schuldnerberatung im europäischen Kontext. Diejenigen Kollegen, die sich auf dieser Ebene engagieren, müssen sich vielfach rechtfertigen, warum sie ihre wertvolle Arbeitszeit mit solchen unproduktiven und vielleicht sogar nicht ganz kostenfreien Tätigkeiten ausfüllen. Hier fehlt jeglicher Begriff und jede Vorstellung von der Bedeutung, die internationale Entwicklungen im europäischen Rahmen für die Lebenssituation Überschuldeter und die Arbeit der Schuldnerberatung auch in Deutschland haben. Durch die neue europäische Verbraucherkreditrichtlinie werden wir mit neuen Formen der Verschuldung zu tun haben, eine Flexibilisierung des Angebots mit teilweise für die VerbraucherInnen und Verbraucher undurchschaubaren gesetzlichen Grundlagen. So gesehen ist es nicht nachvollziehbar, dass die Versuche, in der deutschen Schuldnerberatungslandschaft für ein starkes europäisches Bewusstsein zu werben, bisher ohne Erfolg geblieben sind. Der enorme Zuspruch für die diesjährige deutsche ECRC-Konferenz kann hier als positives Signal gewertet werden.

– Monika Thomsen hat sich in ihrer aktuell erschienen Dissertation mit dem professionellen Habitus der SchuldnerberaterInnnen in Deutschland beschäftigt . Sie präsentiert Robin Hoods, Vermittler, Persönliche, Kühle Rechner, Mütter und Väter und Finanzdienstleister. Ohne eine Gruppe als Idealtypus anzusehen arbeitet sie die Vor- und Nachteile der jeweiligen Typen heraus und weist den Vermittlern in der Beratungspraxis eine hohe Erfolgsperspektive zu. Auch diese Fragen der Professionalität in der Schuldnerberatung wollen wir im Rahmen der Arbeitsgruppe diskutieren.

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Thesenpapier – 3. Nationale Finanzdienstleistungs-Konferenz
6.–7. Juni 2008 in Hamburg

ID: 41361
Autor(en): Werner Sanio (SFZ Mainz)
Erscheinungsdatum: 04.06.08
   
 

Erzeugt: 05.06.08. Letzte Änderung: 05.06.08.
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