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Thesenpapier RA Jan-Henning Ahrens (Bremen/Hamburg): Ausbildung im Finanzdienstleistungssektor: Retail Finance Banker, Schuldnerberater und Fachanwalt (Workshop S2)
I. EINFÜHRUNG

Seit Einführung der arbeitsteiligen Wirtschaft und Aufgabe der reinen Tauschwirtschaft gehört der Umgang mit Geld zu den Alltäglichkeiten fast eines jeden heranwachsenden oder erwachsenen Menschen. Die nicht ganz ernst gemeinte Aussage: „Die Phönizier haben das Geld erfunden, aber warum nur so wenig?“ kennzeichnet Geld als knappes Gut. Der richtige Umgang mit Geld setzt Wissen und Können voraus, das in Zeiten arbeitsteiliger Wirtschaft bei einigen Individuen der Gesellschaft vorhanden ist, aber bei weitem nicht immer bei denen, die von diesem Wissen am besten profitieren könnten oder vor Schaden bewahrt werden sollen. Fachkundige helfen den Nichtfachkundigen; so sollte es sein. Wo es an finanzieller Allgemeinbildung mangelt, sollte uneigennützige Beratung einsetzen und dadurch die finanzielle Allgemeinbildung gehoben werden. Die Wirklichkeit sieht anders aus, wie die nachfolgenden, zum Teil provokanten, 10 Thesen zeigen

II. 10 THESEN

1. Der durchschnittliche Bürger kennt sich in Gelddingen nicht aus.
2. Finanzielle Allgemeinbildung ist Armutsprävention.
3. Leicht erhältliche Konsumkredite können Kreditnehmer schädigen.
4. Berater wissen alles – Kunden wissen wenig.
5. Gleichwertiger Wissensstand ist notwendig, aber nicht erreichbar.
6. Rechtsanwälten mangelt es häufig an Spezialwissen.
7. Banken und andere Finanzdienstleister können Kunden fast alles verkaufen.
8. Wenn ein Produkt nicht passt, wird der Kunde passend gemacht.
9. Anwaltliche Beratungspraxis: Schadensbegrenzung statt Prophylaxe.
10. Finanzberater: Produktorientierung statt Kundenorientierung.

III. DIE UNTERSCHIEDLICHEN AUSBILDUNGEN IM FINANZBEREICH

DER MENSCH ZWISCHEN SOLL UND HABEN
Jeder Mensch ist ein „homo oekonomikus“, ein wirtschaftender Mensch. Er versucht, die ihm zur Verfügung stehenden Mittel so einzusetzen, dass er möglichst gut leben kann. Das schließt die Personen mit ein, für die er wirtschaftliche Verantwortung trägt. Die individuelle Präferenzstruktur eines jeden Menschen definiert, was für ihn und die Seinen gut ist. Das ist naturgemäß nicht für alle gleich. Es gibt unterschiedliche „Wohlfühl-Niveaus“ und unterschiedliche Möglichkeiten, diese zu erreichen.

Einer hat mehr, als er zum Wohlfühlen braucht, und kann diesen Überschuss zur Steigerung des Wohlfühlens einsetzen, Der Andere hat weniger, als er zum Wohlfühlen braucht, und muss sich die fehlenden Mittel irgendwie besorgen. Überschüsse und Defizite tendieren über die Zinsen zum Ausgleich. Dabei werden Risiken produziert, die billigend in Kauf genommen werden müssen, wenn die Wirtschaft funktionieren soll, die aber überschaubar bleiben müssen, damit die davon betroffenen Individuen und die Wirtschaft insgesamt nicht kollabieren.

Aus diesem Spannungsfeld resultieren die unterschiedlichen Ausbildungsberufe, unterschiedlich auch insbesondere deshalb, weil das Wissen so groß geworden ist, dass ein Einzelner nicht mehr alles wissen kann. Auch hier dominiert die Arbeitsteilung das Geschehen. Diese Arbeitsteiligkeit ist einerseits von Vorteil, weil sie die Produktivität einer Wirtschaft steigert, führt aber andererseits in die Abhängigkeit, wovon insbesondere diejenigen betroffen sind, die weniger gelernt haben als andere. Je mehr Spezialwissen auf der einen Seite, desto mehr Abhängigkeit auf der anderen Seite!

DER GEMEINE MENSCH ALS GENERALIST…
Jeder weiß, dass zum Leben Geld vonnöten ist und dass man es sich im Allgemeinen durch Arbeit verdienen muss (es sei denn, man hat viel geerbt). Hierzu ist keine berufliche Ausbildung zum Umgang mit Geld erforderlich, man muss nur morgens aufstehen und zur Arbeit gehen, und das regelmäßig. Im Allgemeinen reicht das Geld dann zum Leben. Manchmal bleibt etwas über und man muss sich überlegen, was man damit anfängt. Manchmal braucht man etwas mehr, als man gerade hat, und man muss oder möchte sich temporär verschulden.

In beiden Situationen benötigt man Sachverstand: wie kann das überschüssige Geld am besten, sprich: gewinnbringendsten, angelegt werden oder wo bekommt man es am günstigsten her? In beiden Situationen stellt sich gleichermaßen die Frage nach dem Risiko.

Jede Menge Rat zu diesen Fragen gibt es in den Print- und elektronischen Medien. Aber oft macht hier guter Rat unsicher, weil man nicht weiß, ob die Situation, zu der beraten wird, genau auf einen selbst zutrifft oder nicht und ob der Rat vollständig ist. Man ist ja selbst nur Generalist und weiß auf vielen Gebieten nicht gut genug Bescheid. Das betrifft die Steuer, die Bonität der Unternehmen, in die man investieren soll, die spätere Verfügbarkeit einer Geldanlage und vieles mehr. Das gilt auch für Personen, die grundsätzlich das notwendige Wissen haben, um eigenverantwortlich mit Krediten, Geldanlagen und Versicherungen umzugehen. Man ist schließlich kein Profi im Umgang mit Geld und sucht deshalb fachkundigen Rat.

… SUCHT DEN FACHKUNDIGEN RAT DER SPEZIALISTEN

BANKKAUFMANN UND WEITER
Eine erste Anlaufstation ist dabei oft die Bank, bei der man sein Konto unterhält und den einen oder anderen Sachbearbeiter kennt. Man trifft dort in aller Regel auf einen „Bankkaufmann“. Das ist jemand, der den Beruf des Bankkaufmanns gelernt hat. Je nach schulischem Bildungsabschluss hat die Lehrzeit 2 bis 3 Jahre gedauert. Ein solcher Bankkaufmann verfügt meist über ein gepflegtes äußeres Erscheinungsbild, gute Umgangsformen und beherrscht sein Metier zumindest insoweit, wie es für die Abwicklung der normalen täglichen Geschäftsvorfälle erforderlich ist. Notfalls muss er gelegentlich seine Vorgesetzten Fragen, wie dieses oder jenes zu handhaben ist. Sein Wissen reicht für den Überweisungsverkehr oder Einzahlungen auf das oder Abhebungen vom Sparbuch aus. Dieser Bereich der Banken wird oft als „Retail Banking“ und der entsprechende Mitarbeiter als „Retail Banker“ oder „Retail Finance Banker“ bezeichnet. Er beschäftigt sich mit dem standardisierten Massengeschäft mit dem Privatkunden.

Für Geldanlagen oder Kreditaufnahmen gibt es in der Bank wiederum Spezialisten. Die einen beraten dahingehend, wie man sein Geld gewinnbringend los wird, sprich: anlegen, kann, die anderen, wo man sein Geld am günstigsten herkriegt. Und dritte beraten zu Baufinanzierungen oder Versicherungen. Beratungen zu Vermögensanlagen, Kreditaufnahmen oder Baufinanzierungen werden bei größeren Banken von eigenen Abteilungen durchgeführt, weil die Materie so speziell ist, dass sie auch der „gemeine“ Bankkaufmann nicht beherrscht, ohne hierzu eine besondere Ausbildung erhalten zu haben. In diesen Abteilungen sind dann oft die Bankkaufleute mit einer auf der Bank-Akademie absolvierten Zusatzausbildung zum Bankfachwirt oder Bankbetriebswirt beschäftigt. Auch jüngere Akademiker der „Wirtschafts- oder Rechtswissenschaften“ trifft man hier gelegentlich an.

SCHULDNERBERATER
Schuldnerberater helfen Menschen, die überdurchschnittlich große Schuldenprobleme haben, bei deren Bewältigung. Es gibt hierbei kein festes Berufsbild oder feste Ausbildungsordnung, genau so wenig, wie der Begriff selbst fest umrissen oder gar geschützt ist.

Diplomierte Sozialarbeiter, Sozialpädagogen, Psychologen, Betriebswirte oder Juristen sind in dieserart Hilfs- und Beratungstätigkeit eingebunden.

Schuldnerberater begleiten Menschen erforderlichenfalls durch ein privates Insolvenzverfahren gemäß der Insolvenzordnung (InsO) bis zur Restschuldbefreiung durch einen entsprechenden Gerichtsbeschluss.

BACHELOR OF ARTS IN SOZIALÖKONOMIE
Das Department für Wirtschaft und Politik der Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg bietet einen Studiengang zum Bachelor of Arts in Sozialökonomie an. Der Studiengang richtet sich an wirtschafts- und sozialwissenschaftlich orientierte Studierende, die nicht in klassischen Rechtsberufen, sondern in Bereichen privater und öffentlicher Wirtschaft tätig sein wollen, in denen insbesondere juristisches Wissen sowie Nähe zu Konsum und Arbeit von besonderer Bedeutung sind. Sind solche „Bachelors“ in Unternehmen der Finanzdienstleistung tätig, so geht deren Tätigkeit meist über den Bereich der reinen Bankdienstleistungen hinaus und beschäftigt sich mit sozio-ökonomischen Themen, die zum Beispiel über die reine Schuldnerberatung hinausgehen.

FACHANWALT FÜR BANK- UND KAPITALMARKTRECHT
Wenn „das Kind in den Brunnen gefallen“ ist, geht man zum Rechtsanwalt. (Manchmal wäre es besser, man käme früher!)
Wenn es um missglückte Geldanlagen oder notleidende Kredite geht, ist der Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht der geeignete Ansprechpartner, weil die Materie für einen normalen Rechtsanwalt meistens zu speziell ist. Den Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht gibt es erst seit dem 1. Januar 2008. Dementsprechend ist die Anzahl der dieserart spezialisierten Rechtsanwälte noch gering. Der Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht erwirbt die Erlaubnis zum Führen dieses Zusatzes einerseits durch eine spezielle Zusatzausbildung mit dazugehöriger Prüfung und ergänzend dazu durch den Nachweis ausreichender Erfahrung auf diesem Spezialgebiet. Dazu weist er bestimmte Fallzahlen, also Mandate nach, die auf diesem Gebiet bearbeitet hat.

IV. KUNDE UND BANK – GEGENEINANDER ODER MITEINANDER?

Beides! Die Motivation ist ausschlaggebend. Bankmitarbeiter können den Kunden bei Geldanlagegeschäften in aller Regel „über den Tisch ziehen“, wenn sie das wollen. Warum sollten sie das wollen? Zum Beispiel deshalb, wie sie erfolgsabhängig bezahlt werden. Mit „Erfolg“ ist dabei der wirtschaftliche Erfolg der Bank, sprich: der Gewinn, gemeint. Der Kunde kann die Erfolgsabhängigkeit desjenigen, der ihn bankseitig berät, nicht erkennen. Er muss deshalb diesbezüglich aufgeklärt werden. Unterbleibt diese Aufklärung, kann das ein justiziables Versäumnis der Bank darstellen.

Ein anderer Punkt ist das hochgradige Spezialistentum der in die Vermögensberatung eingeschalteten Spezialabteilungen der Banken. Deren Entscheidungen können oft auch die eigenen Mitarbeiter der Banken gedanklich nicht nachvollziehen; sie werden zu Befehlsempfängern, die einfach die Befehle von oben durchzuführen haben: “Die Vermögensanlage ist gut. Basta! Machen Sie das dem Kunden klar!“

Wird ein Kredit notleidend, so zeigt sich die Fairness der Bank in der Art und Weise des Umgangs mit dem Kreditnehmer. Bei Privatkunden, die in aller Regel Kredite für Hausfinanzierungen oder andere größere Anschaffungen bedienen müssen, kommt es darauf an, ob die Bank beziehungsweise deren Mitarbeiter den ehrlichen Willen hat, dem in Not geratenen Kreditnehmer zu helfen, oder ob er nur daran interessiert ist, der Bank um jeden Preis Verluste zu ersparen, auch wenn das Risiko aus einer weiteren Begleitung des Kunden viel kleiner ist als die sofortige Aufkündigung und Fälligstellung des Kreditengagements für den Kreditnehmer.

Die Rechtsprechung, die früher und bis vor Kurzem eher bankenfreundlich war, tendiert inzwischen gelegentlich in die andere Richtung. Das ist zwar ein Hoffnungsschimmer für geprellte Anleger und benachteiligte Kreditnehmer, löst ab die kurz angesprochenen Probleme naturgemäß nicht.

V. FAZIT
Solange der Bürger im Brennpunkt der Finanzdienstleister steht, wird er sich ohne sachkundige Beratung nicht behaupten können. Diese Beratung ist insbesondere wichtig im Zeitpunkt der Gestaltung der individuellen Geld- und Kapitallandschaft. In dieser Phase kann am besten und leichtesten dafür gesorgt werden, dass Gestaltungen in der Krise den gewünschten Bestand haben. Rat und Hilfe zu finden, wenn ein Engagement „schief“ gelaufen ist, ist schwieriger, aber auch möglich und bringt meistens materielle und immaterielle Verluste mit sich.

Über die Beseitigung der Wissensunterschiede durch entsprechende Ausbildung der Kunden zu Chancengleichheit zwischen Kunden und Finanzdienstleistern zu gelangen, ist Illusion, allein schon deshalb, weil der Kunde im Normalfall gar nicht in der Lage ist, sein Unwissen zu erkennen und zu artikulieren. Hieran können auch die Bestrebungen des Gesetzgebers und der Justiz wenig ändern. Sicher wäre wünschenswert den Bürger stets so informiert zu halten, dass er aus sich selbst heraus die notwendige Bewertung der vertraglichen Gegebenheiten vornehmen könnte. Gegenwärtig scheint demgegenüber eine gewisse Skepsis aber angebracht zu sein.

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Thesenpapier – 3. Nationale Finanzdienstleistungs-Konferenz
6.–7. Juni 2008 in Hamburg

ID: 41350
Autor(en): RA Jan-Henning Ahrens (Bremen/Hamburg)
Erscheinungsdatum: 04.06.08
   
 

Erzeugt: 04.06.08. Letzte Änderung: 05.06.08.
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