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Thesenpapier Edda Castelló (Verbraucherzentrale Hamburg e.V.): Neue Altersvorsorge-Produkte (bspw. Reverse Mortgage) – Entwicklungen auf dem deutschen Markt und europäische Vorbilder (Workshop S3)
Im gestrigen Workshop hatte ich beklagt, dass Geldinstitute nicht Partner ihrer Kunden seien, sondern Interessengegner. Daran kann ich heute anknüpfen. Ich beklage, dass die Finanzbranche doch recht einfallslos ist, was die Entwicklung von neuen Altersvorsorgeprodukten betrifft.

Die Banken und Versicherer versprechen Kunden maßgeschneiderte Produkte. Doch maßgeschneidert sind nur die vielfältigen Namen, die Produkte sind standardisiert.
Wer vorhandenes Geld für die Altersvorsorge aufzehren möchte, bekommt eine private Rentenversicherung aufgedrückt. Die rühmt sich, als einziges „Produkt“ eine lebenslange Rente zu zahlen (was nun allerdings nichts Besonderes ist, wenn man sich die Höhe der jeweils garantierten Rente anguckt). Die private Rentenversicherung hat weitere schwerwiegende Nachteile – insbesondere die hohen (versteckten) Kosten, die Intransparenz und die Unkündbarkeit – was eine Laufzeit von 20 oder 30 Jahren bedeuten kann. Sie ist grundsätzlich nicht empfehlenswert.

Wer beim Eintritt ins Rentenalter einen Kapitalbetrag zur Verfügung hat, dem empfehlen wir den Abschluss eines Bank-Entnahmeplans (ein umgekehrter Banksparplan), mit z. B. festem Zins für 4 oder 5 Jahre oder alternativ einem variablen Zins. Auch bei Fondsgesellschaften kann man relativ einfach den Fondssparplan umkehren und ihn zu einem Entnahmeplan machen. Allerdings: Wer diese grundsätzlich zu empfehlenden Angebote haben möchte, muss schon sehr gezielt nachfragen – aktiv beworben werden sie nicht.

In der Sparphase im Erwerbsleben gibt es im Prinzip vier Anlagemöglichkeiten (Briefmarkensammlung und Goldbarren einmal ausgenommen): Man kann sein Geld einer Versicherung geben, man kann es bei der Bank oder Sparkasse sparen, man kauft Fonds oder Aktien oder eine Immobilie. Für die ersten drei genannten Formen gibt es das Spiegelbild in der Rentenphase (Rentenversicherung, Entnahmeplan bei Bank-Sparkasse bzw. Fondsgesellschaft). Für die vierte, die Immobilie, liegt die Entwicklung einer entsprechenden Aufzehrform eigentlich auf der Hand. Wer eine lange Strecke seines Lebens sein Einkommen für die Tilgung einer Immobilie verwendet hat, kann sich zwar über wegfallende Mietkosten im Alter freuen. Aber nicht selten bleibt ein Bedarf an Geld, um den Lebensunterhalt angemessen zu gestalten.

Modelle oder Vertragsformen, die das ermöglichen, sind bislang nicht bekannt.

Ein Beispiel aus unserer Beratung: Eine Arztwitwe mit einem monatlichen Einkommen von 1.300 Euro wohnt in einem abbezahlten Haus im Wert von 400.000 Euro. An sich kommt sie mit ihrer Rente aus, aber für besondere Dinge – den Heizöleinkauf zum Winter oder eine besondere Reise – wollte Sie 100.000 Euro von ihrer Bank haben. Die grübelte eine Weile. Nach Rücksprache mit Rechtsabteilung der Bank hieß es, das könne man nicht machen, weil die Erben zustimmen müssten (!).

Überhaupt tun sich Banken schwer, Kredite an über 60-jährige zu vergeben, sogar dann, wenn es ausreichend Sicherheit gibt. Dabei muss man ja eine vorhandene Immobilie nicht bis an die Kante beleihen, eine Beleihung bis etwa 60 % des Wertes dürfte aber kaum ein Risiko für die Bank darstellen. Es müssten Modelle entwickelt werden, mit denen die Eigentümer entweder eine monatliche Rate zur Verfügung haben oder etwa in Form eines Abrufdarlehens auf Wunsch Beträge zur Verfügung gestellt bekommen.

Wir würden aus Verbrauchersicht im Prinzip die Entwicklung solcher Modelle befürworten.

Allerdings würden wir auch solche Angebote – so sie denn kommen – mit Argusaugen prüfen. Ich bin sehr sicher, dass solche Angebote wieder mit dem halb-zwingenden Abschluss einer Rentenversicherung verknüpft werden, dass irreführende Zinsangaben oder versteckte Entgelte die wahren Kosten verschleiern, dass über die Risiken bei hoher Lebenserwartung nicht ausreichend aufgeklärt und damit die lebenslange Eigentümerposition gefährdet wird. Unklar scheint mir bislang auch, ob die vorhandenen Gesetze einen ausreichenden Rahmen für solche „Produkte“ liefern und welche Verbraucherschutzstandards gelten. Dürfte zum Beispiel ein solcher Vertrag an eine „Heuschrecke“ verkauft werden? Gibt es besonderen Vollstreckungsschutz, wenn sich in hohem Alter herausstellt, dass das Häuschen aufgezehrt ist? Ist ein Anbieterwechsel möglich und was kostet der? Darf beim Anbieterwechsel eine Vorfälligkeitsentschädigungen gefordert werden? Auf diese Fragen muss die Bankenseite angemessene Antworten finden – sonst müssten wir leider sagen: „Finger weg!“.


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Thesenpapier – 3. Nationale Finanzdienstleistungs-Konferenz
6.–7. Juni 2008 in Hamburg

ID: 41346
Autor(en): Edda Castelló (Verbraucherzentrale Hamburg e.V.)
Erscheinungsdatum: 04.06.08
   
 

Erzeugt: 04.06.08. Letzte Änderung: 05.06.08.
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