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Thesenpapier Prof. Dr. Udo Reifner, Institut für Finanzdienstleistungen e.V. (iff): Einkommensschutz auf dem Girokonto – Erwartungen an das P-Konto und ausländische Erfahrungen mit „Banken für Arme“ (Plenum 4)
I. DAS GIROKONTO IST DER PERSONALAUSWEIS IM WIRTSCHAFTSVERKEHR!

1. Der Ausschluss vom Girokonto führt zu einer finanziellen Mehrbelastung, zur Abwertung der Einkommen und fördert die Ausbeutung der Not der Betroffenen durch skru pellose Geschäftemacher. Kontolosigkeit fördert Ghettowirtschaft und Illegalität und erhöht die Kosten des staatlichen Sozialausgleichs beträchtlich.
2. Die volkswirtschaftlichen Kosten der Kontolosigkeit sind erheblich höher als die Kosten einer Versorgung mit Konten. Über eine Millionen Haushalte sind betroffen.
3. Beim Girokonto als Mittel der wirtschaftlichen Kommunikation (vgl. Art. 10, 20 GG) sind Kontogeheimnis, Kontointegrität und Kontozugang staatlich zu gewährleisten.

II. KONTOLOSIGKEIT FÜHRT ZUR UNVERSCHULDETEN VERARMUNG!

4. Das Girokonto ist Mittel der Teilhabe privater Haushalte an der wirtschaftlichen Kommunikation in der Gesellschaft. Ohne Girokonto sind Menschen ausgeschlossen, werden in eine Schattenwirtschaft abgedrängt und von den Möglichkeiten einer rationalen Haushaltsführung abgeschnitten. In der Schattenwirtschaft sind sie ohne Wettbewerb und Auswahl Geschäftemachern ausgeliefert. Ihr Einkommen wird auf dem Weg zu den Ausgaben über die Finanzdienstleistungen drastisch gesenkt. Kontolosigkeit ist daher ein wesentliches Mittel der Verarmung.
5. Ohne Girokonto sind wesentliche Teilhabefunktionen in der Gesellschaft versperrt und der Betroffene wird stigmatisiert:
6. Ohne Girokonto lernt man nicht, mit Geld sinnvoll umzugehen. (finanzielle Allgemeinbildung)

III. DAS WISSEN ÜBER KONTOLOSIGKEIT MUSS VERBESSERT WERDEN!

7. Das Ausmaß der Kontolosigkeit in Deutschland ist bisher unbekannt. Es gibt verschiedene Anhaltspunkte.
8. Regierung und Wirtschaft scheinen nicht wirklich an Zahlen, Betroffenheit, Auswirkungen und Bedrohungen durch den Ausschluss immer größerer Bevölkerungsteile von banküblichen Finanzdienstleistungen und ihren zusätzlichen Belastungen interessiert. 3
9. Erfahrungen aus anderen Ländern müssten genutzt werden.

IV. DIE ANGEBOTENEN MITTEL SIND ISOLIERT NICHT TAUGLICH!

10. Selbstverpflichtungen der Bankenverbände sind rechtlich unverbindliche Appelle, praktisch untauglich und unzureichend. Wäre sie ernst gemeint, würde auch in Deutschland eine rechtliche Regelung von allen befürwortet.
11. Eine Regelung allein über die Kreditaufsicht macht eine Behörde verantwortlich, die eine eher konträre Berufung hat.
12. Die Verankerung eines subjektiven öffentlichen Rechts auf ein Girokonto („Teilhabe am Geldsystem“) ist nach den Grundsätzen der Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern („first necessity“) möglich und sinnvoll. Wie der Staat es durchsetzt sollte nicht auf eine Maßnahme beschränkt bleiben. Zivilrechtlich sollte dieses Recht durch einen Begründungszwang und eine Ergänzung der Anti-Diskriminierungsvorschriften flankiert werden.
13. Das Recht auf ein Girokonto muss auch den lebenswichtigen Liquiditätsausgleich der Kontoüberziehung einbeziehen, um Wucherkleinstkredite (Payday/Credit Card Loans) zu vermeiden.
14. Kreditvergaben dürfen allerdings nicht erzwungen aber auch nicht unmöglich gemacht werden. Überbrückungskredite werden immer mehr zum Mittel der Armutsprävention. Dem vorbildlichen Deutschen System akzeptabler kurzfristiger Kleinkredite auch für Ärmere durch die Kontoüberziehung droht die Zerstörung durch Überziehungsprovisionen und Gebührenwillkür sowie unqualifizierte Verkaufsstellen (Tschibo-Kredite) und Kreditkartenflut.
15. Die Versorgung mit Girokonten und die Verhinderung sozialer Diskriminierung von Überschuldeten kann nur mit einem Maßnahmebündel erreicht werden, das sicherstellt, dass alle Beteiligten sich gemeinsam um Lösungen bemühen. Dies erfordert Schutz gegen soziale Diskriminierung beim Kontozugang (Kontotransparenz) und Schutz des Kontos gegen Zugriff Dritter sowie der Bank als Gläubiger (Kontointegrität) durch gesetzliche Antidiskriminierungsverbote, Begründungspflichten, Berichtspflichten zur Versorgung mit Finanzdienstleistungen an die Aufsicht, einheitlichen Pfändungsschutz (P-Konto).

V. GHETTOISIERUNG VERMEIDEN, LABORATORIEN FÜR MEHR DEMOKRATIE SCHAFFEN!

16. Finanzielle Allgemeinbildung, Microlending und „Banken für Arme“ verändern nicht das Bankensystem sondern die betroffenen Verbraucher. Sie transportieren damit eine Ideologie, wonach die marktwirtschaftliche Diskriminierung von Armut ein Problem der Armen selber ist. Sie sind daher nur insoweit wirksam, wie ihre eigenen ideologischen Voraussetzungen zutreffen.
17. Gleichwohl führen diese Instrumente auch zu mehr Integration, wo finanzielle Allgemeinbildung statt Haushaltserziehung eine Anleitung zur Veränderung des Finanzsystems beinhaltet, Microlending aufzeigt, dass Banken ihren Versorgungspflichten im Kleinkredit ohne Not nicht nachkommen und Banken für Arme und Volkskredietbanken demonstrieren, dass auch bei geringem Einkommen eine Teilhabe am Finanzsystem möglich ist.

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Thesenpapier – 3. Nationale Finanzdienstleistungs-Konferenz
6.–7. Juni 2008 in Hamburg

ID: 41343
Autor(en): Prof. Dr. Udo Reifner, Institut für Finanzdienstleistungen e.V. (iff)
Erscheinungsdatum: 04.06.08
   
 

Erzeugt: 04.06.08. Letzte Änderung: 05.06.08.
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