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Thesenpapier Dr. Hans W. Grohs (ASB Schuldnerberatungen GmbH): Einkommensschutz auf dem Girokonto – Erwartungen an das P-Konto und ausländische Erfahrungen mit „Banken für Arme“ (Plenum 4) – „Wir müssen draußen bleiben“ – … zum „Recht auf ein Girokonto“ aus österreichischer Sicht
„WIR MÜSSEN DRAUßEN BLEIBEN“
… ZUM „RECHT AUF EIN GIROKONTO“ AUS ÖSTERREICHISCHER SICHT

A) ALLGEMEINES:

Der Zugang zu Finanzdienstleistungen ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Teilhabe von Personen am wirtschaftlichen und sozialen Leben. Er verhindert Armutsgefährdung und ermöglicht die Entwicklung und das wirtschaftliche Wohlergehen von privaten Haushalten. Diese einleitenden Worte könnten auch aus einer Broschüre eines Bankenverbandes zitiert sein.

Im Umkehrschluss bedeutet das allerdings, dass der verwehrte Zugang zu, die Verweigerung von grundlegenden Finanzdienstleistungen oder deren entfremdete Nutzung rasch zu Ausgrenzung und Verarmung führt beziehungsweise mit ein Grund von Ausgrenzung und Verarmung sein kann.

Eine Sonderstellung nimmt bei den Finanzprodukten das Giro- oder Privatkonto ein. Es fehlt europaweit ein standardisiertes Basisprodukt, das allen Bürgern und Bürgerinnen den einfachen Zugang zum Zahlungsverkehr gewährt und nicht vorenthalten werden kann. Es ist das tägliche Brot des Finanzlebens.

In Zeiten der Einführung dieses Dienstes, war es nicht nur in Österreich ein erklärtes Ziel des Bankensektors die Bevölkerung weitgehend und flächendeckend mit Gehaltskonten zu versorgen. Selbstredend waren zu Beginn die Angebote auch kostenlos und es wurden genug Anreize für Konsumenten aber auch Arbeitgeber geboten auf diese bargeldlose Form der Gehaltszahlung umzusteigen. Einer dieser Anreize war die Möglichkeit das Konto zu überziehen und es löste den beliebten Gehaltsvorschuss weitgehend ab. Zusätzliche Kredite waren nun auch leichter zu bekommen, da die kontoführenden Banken über Einkünfte und finanzielle Situation des Kreditwerbers gut informiert waren. Sowohl die Ausleihungen über das Konto als auch die Kleinkredite konnten im Normalfall problemlos samt Zinsen bedient werden. Ein Zugriff auf künftiges Einkommen war damit auf einfache Weise möglich geworden und die Verschuldung, an sich nichts Bösartiges, wurde salonfähig. Das Privatkonto ist für Viele zum Türöffner in die große und verführerische Welt der Finanzen und der Befriedigung ihrer Konsumwünsche geworden. Manche nennen daher das Privatkonto die Einstiegsdroge in die Welt der Schulden.

Der Sättigungsgrad mit Privatkonten liegt in „jüngeren“ EU Ländern unter 50%. Kein Wunder, dass Banken diese Märkte als große Chance wittern und sich entsprechend aufstellen und ausbreiten. Dennoch sind auch da bereits Fragen der Überschuldung privater Haushalte genauso an der Tagesordnung wie Fragen der finanziellen Allgemeinbildung oder des generellen Zugangs zu Finanzdienstleistungen und manchmal auch Fragen zur Kontrolle durch staatliche Organe wie etwa die nach einer effektive Finanzmarktaufsicht.

Was nützt denn die Entwicklung zur Single Euro Payments Area (SEPA) Bürgern und Bürgerinnen, wenn ihnen ein Bankkonto und damit der Eintritt in dieses Feld verwehrt bleibt. Da klafft eine große Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit, die geschlossen werden muss.

B) WIE ES IN ÖSTERREICH (BISHER) NICHT ZUM GIROKONTO FÜR „BEDÜRFTIGE“ KAM
Schuldenberatungen wissen, dass ein Girokonto auch eine Notwendigkeit ist, zu einem ausgeglichenen Haushaltsbudget zu gelangen, zu einer Schuldenregulierung zu kommen und eine Arbeit dauerhaft zu erhalten. Anstatt aber die überwiegende Zahl redlicher Schuldner zu unterstützen und den Weg in die Regulierung eben zu halten, neigen Banken immer häufiger dazu, gerade solchen Personen, die ein Schuldenregulierungsverfahren anstreben, das Konto zu kündigen oder nach Regulierung eines zu verwehren.

Um die Situation besser ausleuchten zu können haben wir 2006 eine Erhebung in sozialen Einrichtungen mit folgendem Ergebnis (zitiert nach Horak/Kemmetmüller ASB Informationen Nr.55) gemacht:

„Zwei Drittel der befragten Personen (n=197) konnten von der Erfahrung berichten, dass ihnen die Eröffnung eines Girokontos verweigert wurde, weitere 30% waren mit der Kündigung eines Kontos konfrontiert. Der von den Banken am häufigsten genannte Grund (45%) für die Kündigung bzw. Verweigerung des Girokontos war der Eintrag in die Warnlisten des Kreditschutzverbandes von 1870.…Weitere häufig genannte Gründe für die Kündigung oder Verweigerung des Girokontos waren Überschuldung (25%), ein laufendes Insolvenzverfahren (18%) und Kontoüberziehung (15%). Weitere 10% der Betroffenen gaben an, dass ihnen die Gründe gar nicht bekannt sind. Zu den Banken, die die Eröffnung eines Girokontos verweigert oder bestehende Konten gekündigt haben, zählen so gut wie alle namhaften Kreditinstitute in Österreich.

Die Hälfte der erfassten Betroffenen ist zwischen 30 und 45 Jahre alt, weitere 19% zwischen 18 und 30, 26% zwischen 45 und 60 Jahre.

40% der befragten Frauen sind älter als 45 Jahre, im Vergleich dazu sind das nur 26% der Männer. 81 der insgesamt 197 Betroffenen haben außerdem für ein oder mehrere Kinder zu sorgen.

Mehr als zwei Drittel der Betroffenen (68%) verfügt über ein monatliches Nettoeinkommen von über 750,- Euro. Beim Einkommen sind auch deutliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern zu erkennen: Mehr Frauen (38%) als Männer (14%) müssen mit 500-750,- Euro im Monat auskommen.

Allen ist aber gemeinsam, dass sie die Gebühren für die Kontoführung aufbringen könnten!

„Leben, Wohnen und Arbeiten – ohne die Möglichkeit, Zahlungen über ein Girokonto abzuwickeln – sind stark mit Scham und Frustration verbunden. „Mit Ehrlichkeit, dass ich einen Privatkonkurs plane, kommt man bei der Bank nicht weiter“, klagt eine Betroffene. Vom Gefühl der Diskriminierung berichtet ein Anderer: „Ich zahle momentan 90,- Euro pro Quartal an Erlagscheingebühren und bekomme kein Konto. Das ist wirklich Diskriminierung und ein gutes Geschäft für die Banken.“
Ein festgeschriebenes Recht auf ein Girokonto für alle bleibt das Ceterum Censeo der Schuldnerberatungen in Österreich – und eine Notwendigkeit für viele unserer KlientInnen.

C) LÖSUNGEN
Vernetzt mit Arbeiterkammern und Konsumentenschutz wurde das Thema regelmäßig an Regierungen herangetragen. Wiederkehrenden parlamentarischen Anfragen folgten kaum weitergehende Initiativen. Aus Sicht des österreichischen Finanzministeriums handelt es sich um eine zivilrechtliche Materie, die im Bereich des Konsumentenschutzes oder des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches zu regeln wäre. Der Gegenstand wird wie eine heiße Kartoffel verschoben. Fragen der Verfassungskonformität eines etwaigen Eingriffs in die Vertragsautonomie werden erörtert, in der stillen Hoffnung, dass eine europäische Initiative eine Lösung bringen möge. Im Prinzip müßten national nur wenige Aspekte erfüllt bzw. als erfüllt anerkannt werden, um eine Normierung zu erreichen. Die gesetzliche Grundlage der Möglichkeit eines Kontrahierungszwangs besteht. Ein öffentliches Interesse an einer Regulierung kann klar formuliert werden, wenn ausreichend gewürdigt wird, dass ein Großteil der „Kontolosen“ auch Bezieher von staatlichen Transferleistungen sind und damit Schaden und Kosten vom Einzelnen und der Gesellschaft abgehalten werden kann bzw. umgekehrt „unbanked people“ sehr rasch Gefahr laufen in die Versorgungsleistung des Staates zu fallen.

Eine Erledigung der Frage ist auch in der jetzigen Legislaturperiode nicht zu erwarten. Im Regierungsübereinkommen ist „zur Bekämpfung der zunehmenden Verschuldung von Haushalten und Einzelpersonen ein Maßnahmenpaket“ vorgesehen. Allerdings ist es „in Zusammenarbeit mit den Kreditgebern“ zu entwickeln und da wäre es eine Überraschung, wenn die Lobby der Banken sich nicht gegen eine verbindliche rechtliche Lösung stellen würde.

Die Aktivitäten auf europäischer Ebene, die wir beobachten zeichnen ein ähnlich unverbindliches Bild. Mittlerweile ist die Problemstellung thematisch angekommen und wird erörtert. Bei der jüngsten Konferenz der europäischen Union Ende Mai 2008 in Brüssel zum Thema „Finanzielle Eingliederung – Verbesserung des Zugangs zu grundlegenden Finanzdienstleistungen“ wurde der Bereich diplomatisch und allgemein so skizziert „Not having access to a basic bank account is a form of financial exclusion. For the European commission, prevention and elimination of over-indebtedness and financial exclusion are considered to be a major element in the fight against social exclusion and poverty. The great challenge now is to define solutions adapted to each national situation to avoid our citizens falling into financial abyss.” Ob sie diese Herausforderung rasch und effizient bewältigen, bleibt mit den Erfahrungen zur Verabschiedung der Verbraucherkreditrichtlinie mehr als fraglich.

D) NOTLÖSUNGEN
Parallel zu all den theoretischen und rechtlichen Diskussionen in Österreich sind in den letzten Jahren zwei bemerkenswerte praktische Initiativen entstanden.

In einem weniger bekannten sozialen Projekt („Kontoservicestelle“) der ASB Schuldenberatungen werden über Treuhandlösungen Konten eingerichtet und derzeit noch ausschließlich dem Klientel der Schuldenberatungen zur Verfügung gestellt. Die ersten Erfahrungen, die mit diesen Treuhandkonten und Prepaid Cards gemacht wurden, sind geeignet eine österreichische Variante der in den Niederlanden funktionierenden Kombination von Beratung und Kontoführung im Sozialbankensystem zu werden. Ein Einsatz in verschiedenen sozialen Einrichtungen könnte bereits im kommenden Jahr starten.

Eine Verbesserung der Situation verschuldeter Verbraucher konnte auch mit dem bekannteren Projekt „Zweite Sparcasse“ der ERSTE Stiftung erreicht werden. Eine Notlösung (Bank für Menschen ohne Bank) die auch schon über unsere Grenzen hinaus bekannt ist. Eine langsame aber stetige Ausweitung des Angebots ermöglicht es dem Klientel der Schuldenberatung bei Bedarf auf deren Konten, dem derzeit einzigen Produkt der „Zeiten Sparkasse“ zuzugreifen. Anderen Personen außerhalb dieses eng abgegrenzten Bereichs von Schuldenberatung und Caritas ist dies nach wie vor unmöglich. Nach guten zwei Jahren deckt die „Zweite Sparcasse“ aber nicht mehr als ein Prozent des in Österreich geschätzten Bedarfs mit zur Zeit etwa 2.000 vergebenen Konten ab. Alleine Pensionsversicherungsanstalt und Arbeitsmarktservice versorgen monatlich 170.000 kontolose Personen mittels Bargeldanweisungen per Post auf teurem und verwaltungsintensivem Weg.

Manchmal gelten noch die Worte von Hebbel, dass Österreich die kleine Welt sei, in der die große ihre Probe hält. Mit Sicherheit wären in der Frage des Rechts auf ein Girokonto eindeutige Verhältnisse den improvisierten Probebetrieben vorzuziehen. Zum Privatkonto gibt es keine Alternative. Ein Recht auf ein einfaches „Basisprodukt“, das dem Zahlungsverkehr dient, muss daher europäisches Allgemeingut werden.
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Thesenpapier – 3. Nationale Finanzdienstleistungs-Konferenz
6.–7. Juni 2008 in Hamburg

ID: 41342
Autor(en): Dr. Hans W. Grohs, ASB Schuldnerberatungen GmbH, Linz
Erscheinungsdatum: 04.06.08
   
 

Erzeugt: 04.06.08. Letzte Änderung: 04.06.08.
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