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Armut wird heute im Konsumsektor produziert und der Staat ist beteiligt - Erster Kommentar zum Reichtums- und Armutsbericht
DER NEUE ARMUTS- UND REICHTUMSBERICHT

Die Bundesregierung hat im Vorhinein ein Papier über Ihren noch nicht erschienen Armuts- und Reichtumsbericht veröffentlicht. Armut wird immer noch gemessen allein am Einkommen. Die anderen Kapitel wie Bildung, Gesundheit, Umwelt etc. sind Ornamente. Es zählt eben nur eine Problemsicht, die das, was man als Lösung zu bieten hat, auch als Lösung ausweist. Und das ist nun mal das Einkommen.

Natürlich wird das noch gewichtet mit Kinderzahl etc. Dabei fällt dann auch auf, dass Arbeit zu finden heute nicht mehr garantiert, dass man nicht arm ist. Längst haben die englischen Verhältnisse mit niedrigen Arbeitslosenzahlen und steigenden Armutsraten uns erreicht. Doch das ist nicht alles. Den absoluten Armutsansätzen steht eine relative Armutstheorie gegenüber, die davon ausgeht, dass das Einkommen in ganz verschiedenen Situationen eine ganz andere Bedeutung hat. Eine ältere Dame, die in Bayern mit 300 € Rente in ihrer kleinen selbstgenutzten Kate mit Ziege, Kuh und Garten und nahe ihrer Kinder lebt, ist eben nicht ärmer als eine Alleinerziehende Mutter in Berlin Marzahn mit 1000 €.

RELATIVE ARMUT

Relative Armut ist das eigentliche Problem jenseits des Hungers. Sie bedeutet, dass man vom eigentlichen Leben und seinen wirtschaftlichen Chancen ausgeschlossen ist. Man vegetiert. Dazu gehören zum einen die unterschiedlichen Bedürfnisse, die ein Arbeiter am Hochofen und ein Professor bei der Nahrung haben, die ein 25jähriger und ein 80jähriger an das kulturelle Leben stellen müssen u.s.w. Es geht aber vor allem auch um die Frage, ob Menschen überhaupt Zugang zu bestimmten Konsummöglichkeiten haben und zwar gleichgültig, ob sie das Geld hierzu haben oder nicht.

ÜBERSCHULDUNG/VERSCHULDUNG

Damit sind wir bei der Überschuldung. Überschuldung ist nicht nur ein Geldmangel und ein Einkommensfresser, weil die Zinsen sich auftürmen. Überschuldung heißt für 17% von ihnen auch kein Girokonto, das wieder Vereinsmitgliedschaften ausschließt, Arbeitssuche behindert, Kartenzahlung ausschließt etc.

Wer sein Leben mit Krediten bestreiten muss, dessen Einkommen ist auch weniger Wert. So kann man heute über aufgezwungene Restschuldversicherungen und Umschuldungen innerhalb von vier Jahren schon das Doppelte an Schulden aufgetürmt haben von dem, was man ausgezahlt bekam. Im Klartext heißt das, dass der verdiente Euro sich nur noch im Werte von 50 c in Waren und Dienstleistungen umsetzen konnte. Der Rest geht an die Finanzdienstleister.

Aber es geht noch viel weiter.

ÜBERALL IST DER KONSUM FÜR ÄRMERE SYSTEMATISCH TEURER ALS FÜR REICHE. IM ARMUTSBERICHT DARF VON DIESER WUCHERMENTALITÄT DES KAPITALISMUS NICHTS STEHEN.

So bedeutet risikoadjustierte Preisgestaltung, dass nur die Armen das Risiko des Kreditausfalls anderer Armer tragen und zwar auch dann, wenn sie pünktlich zurückzahlen. Sie müssen doppelt so viel Zinsen wie die Reichen zahlen.

Wer bei der Postbank Gebührenfreiheit auf dem Konto haben will, der muss eine Mindestsumme dort vorhalten, was die Armen nicht können.

Wem die Bank das Kontolimit heruntergesetzt hat und dann der Kunde mit dem reduzierten Kredit nicht mehr auskommt und daher seine Überziehung darüber liegt, der zahlt bis zu 5,5% mehr Zinsen als die Reichen.

Wer Geld anlegt, bekommt weit höhere Zinsen (nicht nur mehr!), je mehr er oder sie anlegen.

DER STAAT MACHT MIT – DIE REFORM DER KAPITALERTRAGSSTEUER

Der Staat unterstützt diese soziale Ungerechtigkeit selber mit seiner Gesetzgebung. Während der Arbeitslohn an der Quelle mit bis zu 45% besteuert wird, wird der arbeitsfreie Gewinn aus Kapital ab 2009 nur noch mit 26,38%, also gut der Hälfte besteuert. Das bedeutet z.B. für Dividenden, dass die Spitzenverdiener, die bisher über das Halbwertsverfahren nur 23,74% davon an Steuern bezahlen mussten, jetzt mit 2,64% mehr zur Kasse gebeten werden. Dafür werden sie bei Zinsgewinnen, die früher mit 47,48% (immer mit Solidaritätszuschlag) versteuert wurden, um 21,1% entlastet.

Anders geht es den geringer Verdienenden. Mussten sie bei einem Steuersatz von 30% früher bei Dividenden 15,83% und bei den Zinsen 31,65% an Steuern entrichten, so werden sie ab 2009 mit 10,65% bei den Dividenden mehr zur Kasse gebeten, während man ihnen dafür ganze 5,28% bei den Zinsen entgegenkommt.

RIESTERRENTE – EIN WEITERES BEISPIEL

Genauso geht es auch bei der Riesterförderung zu. Die private Rente wird lebenslang gezahlt. Dabei scheinen laut Monitor vor allem die Versicherer die Förderung als Aufbesserung ihrer Gewinne zu benutzen. Dasselbe kennen wir seit Jahrzehnten bei den Bausparverträgen, wo die Bausparförderung erst das Produkt Marktfähig macht und zudem mit abenteuerlichen Konstruktionen wie der Bausparsofortfinanzierung diejenigen besonders benachteiligt werden, die anders keine Hypothekenkredite mehr bekommen.

Das Problem ist bei der Riesterrente nämlich die unterschiedliche Lebenserwartung von Arm und Reich. Arm ist ja nicht nur weniger Geld sondern auch ein ungesunderes Leben, weniger ärztliche Betreuung, mehr Stress u.s.w. Dafür dürfen diese Menschen, deren Lebenserwartung ihnen nur 12 Jahre Rente verspricht, die Reichen mitfinanzieren, die dann wie Herr Heesters munter über die Hundert hinübersteigen.

Wenn man jetzt noch die noch günstigere Besteuerung von Sachvermögen, die Sonderausgaben des Staates für Einzelhäuser oder der unverhältnismäßige öffentliche Aufwand zur Pflege der vielen Parks im Hamburger Villenviertel Blankenese gegenüber dem Grünstreifen im Arbeiterbezirk Wandsbek einbezieht, und der Süddeutschen glaubt, dass unter Gerhard Schröder die Großunternehmen zwei Jahre lang überhaupt keine Steuern mehr zahlten, dann kann man den Staat nur als Mittäter der Umverteilung von Arm auf Reich ansehen.

POLITISCHE ANSÄTZE FOLGEN DER DISKRIMINIERUNG´ oder "DER SOZIALSTAAT WIRKT"?

Die Bundesregierung hat schon frühzeitig die Kapitel über Konsumarmut, die wir früher beisteuern durften, aus dem Armutsbericht herausgestrichen. Sie fühlt sich mit einer reduzierten Sicht der Einkommensarmut offensichtlich wohler. Dann kann der Mindestlohn, den wir für selbstverständlich halten, weil Arbeit die unter ihrem Wert bezahlt wird, aus der Marktwirtschaft eine Sklavenwirtschaft macht, auch als Armutslösung verkauft werden, obwohl er in England und den USA eher keinen Beitrag zu diesem Problem gebracht hat.

Es wäre dringend erforderlich, dass wir in Deutschland eine Armutskommission einsetzen, die alle Mechanismen der Benachteiligung von Armen im Finanzsystem analysiert und aufschreibt sowie Gegenmittel vorschlägt.

Diese Diskriminierung ist nämlich keineswegs unumgänglich. Es mangelt ja bei uns schon daran, dass man es verheimlichen darf. Die Zusammensetzung der Scorewerte der SCHUFA sind ebenso Betriebsgeheimnis wie deren Verwendung bei den Banken und Versicherungen. Genauso wenig dürfen wir darüber wissen, wer wie viel Steuern bezahlt. Allein Transparenz würde hier schon etwas bewirken.

Danach könnten wir vielleicht auch gruppenspezifische Tarife in der Riesterrente verlangen, die verhindern, dass die Armen für die Reichen mitzahlen. Schließlich gehörte einmal zur Versicherung die Risikostreuung und nicht das Klumpenrisiko.

Warum hat der Bundesgerichtshof nicht seine ursprüngliche Rechtsprechung beibehalten und die Überziehungsprovisionen zu Verzugszinsen erklärt, bei denen nur Basiszinssatz + 5% genommen werden darf? Warum fallen bei Pfändung alle möglichen Gebühren an und warum bleibt nach Zwangsversteigerung kaum etwas vom Vermögen übrig?

Die letzten 10 Jahre Regierung waren ein Desaster für die Armen in Deutschland. Man hat ihnen gar nicht einmal Einkommen genommen sondern die Strukturen geschaffen, unter denen dieses Einkommen immer weniger Wert ist.

Das wird man nicht im neuen Bericht lesen können. Trotzdem sollte man sich damit beschäftigen, weil es um unsere Kinder und Enkel geht und die werden nicht nur bei den Reichen geboren.

SOLON WAR VOR 2600 JAHREN WEISER

Bei Daniel Höchli, St. Galler Studien zur Politikwissenschaft, Der Florentiner Republikanismus, Bern 2005, Seite 35, fand Frank Bertsch über die Reformen Solons von Athen die folgende Passage, die er uns schrieb:

„Ausgangspunkt war eine schwere ökonomische und soziale Krise im frühen 6.Jahrhundert (vor Christus). Zur Gemeinde Athen gehörte nicht nur die Stadt, sondern auch die Halbinsel Attika. Viele freie Kleinbauern gerieten in Schuldknechtschaft, weil sie den adligen Großgrundbesitzern Zinsen und Kredite nicht zurückzubezahlen vermochten. In dieser spannungsgeladenen Situation übertrugen die Athener 594 v.Chr. Solon weitreichende Vollmachten zu Reformen. Solon verfügte als erstes einen umfassenden Schuldenerlass und befreite auf diese Weise die Schuldner aus der Sklaverei; ins Ausland verkaufte Sklaven liess er freikaufen und heimholen. Für die Zukunft verbot er die Kreditaufnahme mit leiblicher Haftung. Mit diesen Massnahmen errichtete Solon einen Schutzwall für die persönliche Freiheit der athenischen Bürger…“.

Seit der Antike lebt in unserem kollektiven Gedächtnis das Bewusstsein, dass die Politik und Politiker Probleme der sozialen und politischen Ordnung lösen können. Es kommt nicht in Frage, dass wir gegenüber der Politik und Politikern auf diesen Anspruch verzichten.

ID: 41307
Autor(en): UR
Erscheinungsdatum: 20.05.08
   
URL(s):

Entwurf des 3. Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung 2008
 

Erzeugt: 23.05.08. Letzte Änderung: 29.05.08.
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