verantwortliche-kreditvergabe
HOME   IMPRESSUM   DATENSCHUTZ   SITEMAP
Search OK

 
Home
GEGENSEITIGE ANERKENNUNG (MUTUAL RECOGNITION) – Unklar, unpräzise und verbraucherpolitisch nicht brauchbar. Manfred Westphal und Christina Beck (vzbv) antworten auf Bob Schmitz (ULC)
PROBLEMSTELLUNG

Der Begriff „gegenseitige Anerkennung“, auch als das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung bezeichnet, wird von europäischen Institutionen, Verbänden und Politikern verwendet. Es haben sich verschiedene Nuancen im Verständnis des Begriffs herausgebildet. Dies führt dazu, dass in der Diskussion derselbe Begriff verwendet wird, obwohl die Diskussionsparteien von unterschiedlichem Inhalt des Begriffs ausgehen.

Die Europäische Kommission schlägt im Grünbuch „Die Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstands im Verbraucherschutz“ vom 8. Februar 2007 für den Harmonisierungsgrad folgende Alternativen vor:
- vollständige Harmonisierung in Kombination mit dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung für bestimmte Aspekte, bei denen eine vollständige Harmonisierung nicht möglich ist;
- Mindestharmonisierung in Kombination mit dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung;
- Mindestharmonisierung in Kombination mit dem Herkunftslandprinzip.

Zur Kombination der Mindestharmonisierung mit dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung führt die Kommission aus: In dem Fall würden die Mitgliedstaaten wei- terhin die Möglichkeit haben, strengere Verbraucherschutzbestimmungen in ihr nationales Recht aufzunehmen, jedoch wären sie nicht dazu befugt, Unternehmen eines anderen Mitgliedstaates ihre eigenen strengeren Bestimmungen in einer Weise aufzuerlegen, die nicht zu vertretende Beschränkungen im freien Waren- und Dienstleistungsverkehr zur Folge hätte.

Aus dieser Formulierung können keine eindeutigen Schlussfolgerungen gezogen werden. Insbesondere hat die Kommission den Begriff der gegenseitigen Anerkennung nicht definiert. Was unter „nicht zu vertretende Beschränkungen im freien Waren- und Dienstleistungsverkehr“ zu verstehen ist, bleibt spekulativ.

HERLEITUNG UND DEFINITIONSVERSUCH

Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung ist ursprünglich Richterrecht und hat seinen Ursprung in der Cassis-de-Dijon Entscheidung des EuGH vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache 120/78, Rewe-Zentral AG. /. Bundesmonopolverwaltung für Branntwein.

SACHVERHALT UND ENTSCHEIDUNG: Die deutsche Handelsgruppe Rewe importierte aus Dijon einen Johannisbeer-Likör, einen so genannten Cassis, nach Deutschland, um ihn dort zu verkaufen. Die Bundesmonopolverwaltung für Branntwein verbot der Rewe jedoch den weiteren Import und Verkauf der Ware aus Frankreich, da der Likör mit seinem Alkoholgehalt von 16 bis 22 Vol.% nicht dem vom deutschen Branntweinmonopolgesetz geforderten Alkoholgehalt von 25 Vol.% für Liköre entsprach. Rewe erhob daraufhin Klage gegen die Bundesmonopolverwaltung für Branntwein und machte unter anderem geltend, dass die deutsche Regelung als eine Maßnahme, die einer mengenmäßigen Einfuhrbeschränkung in der Wirkung gleich stehe, mit der Warenverkehrsfreiheit aus Artikel 28 des EG-Vertrages unvereinbar sei.

ESSENZ DER ENTSCHEIDUNG: Hemmnisse für den Handel zwischen den Mitgliedstaaten, die sich aus Unterschieden der nationalen Regelungen über die Vermarktung der betroffenen Produkte ergeben, müssen grundsätzlich hingenommen werden, sofern diese Regelungen notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen des Allgemeinwohls gerecht zu werden. Zwingende Erfordernisse in diesem Sinne hat der Gerichtshof dabei auch in den Erfordernissen des Verbraucherschutzes gesehen.

In einem Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen vom 14. Februar 2007 wird festgestellt: Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung besagt, dass der Bestimmungsmitgliedstaat den Verkauf von Produkten auf seinem Hoheitsgebiet, die nicht Gegenstand gemeinschaftsweiter Harmonisierung sind und in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in Verkehr gebracht werden, nicht verbieten darf, es sei denn, Beschränkungen des Bestimmungsmitgliedstaats sind aus den in Artikel 30 EG-Vertrag aufgeführten Gründen oder aus übergeordneten Gemeinwohlerfordernissen gerechtfertigt, die vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften als solche anerkannt sind und überdies das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit erfüllen.

Ein striktes Herkunftslandprinzip besagt, dass das Recht des Landes zur Anwendung kommt, in dem der Anbieter niedergelassen ist und dieser auch ausschließlich vom Herkunftsland aus kontrolliert wird.

MOEGLICHE PROBLEME DES BEGRIFFS „GEGENSEITIGE ANERKENNUNG“

- unklar, was Anerkennungsgegenstand sein soll

Hintergrund: man kann ausländische Verwaltungsakte (Zulassungen oder ähnliches) anerkennen. Ausländische Rechtsnormen kann man hingegen nicht im eigentlichen Sinne anerkennen. Man kann sie vielmehr nur anwenden, einschließlich ihrer Rechtsfolge. Damit unterscheidet sich das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung nicht mehr von der positiven Komponente des Herkunftslandprinzips.

- dieselben Schwächen wie das Herkunftslandprinzip

Die Kommission stellte 2003 als Schwäche des von ihr propagierten Prinzips der gegenseitigen Anerkennung fest: Es gibt kein gemeinsames Konzept für die Beurteilung der Gleichwertigkeit des Schutzniveaus.

Wiederum bestehen Anreize für Herkunftsstaaten, lax zu regulieren und qua Exportförderung Wirtschaftspolitik zu Lasten ausländischer Märkte zu betreiben.

- wird den Besonderheiten des Wirtschaftsverwaltungsrechts nicht gerecht

Das Wirtschaftsrecht bedient sich regelmäßig zweier Instrumentarien zur Sicherstellung des Rechtsgüterschutzes, nämlich der Genehmigung einer bestimmten Tätigkeit und der Überwachung. Die Unterscheidung in anzuwendendes Recht, internationale Entscheidungszuständigkeit und Anerkennung kann sich folglich auf beide Einwirkungsinstrumentarien des Wirtschaftsverwaltungsrechts beziehen. Denkbar ist daher, dass das Herkunftsland nach seinem Recht die Genehmigung für eine bestimmte Tätigkeit erteilt und diese Genehmigungsentscheidung im Zielland anerkannt wird, jedoch das Zielland für die Überwachung der Dienstleistung nach dem Recht des Herkunftslandes oder nach eigenem Recht zuständig ist. Die Überwachung der Tätigkeit kann aber auch dem Herkunftsland übertragen werden. Hiervon zu separieren ist wiederum die Frage, ob für das auf die Überwachung anzuwendende Recht das Recht des Ziellandes oder des Herkunftslandes maßgebend sein soll.

Die Kommission differenziert im Grünbuch vom 8. Februar 2007 nicht zwischen Genehmigung und Überwachung einer Tätigkeit. Vielmehr werden diese Unterschiede durch die Verwendung des Begriffs „gegenseitige Anerkennung“ verwischt.

- Rechtsunsicherheit in Bezug auf den Geltungsumfang des Begriffs und die Beweislast

- begriffliche „Schwammigkeit“ erschwert tatsächliche Regelungen

Die terminologische Unschärfe erschwert den Zugang zu den tatsächlichen Regelungen bzw. verschleiert deren Inhalt.

Mankowski : „Wenn sich hinter dem Prinzip der wechselseitigen Anerkennung nicht doch im Kern das Herkunftslandprinzip verbirgt, ist unklar, welchen Inhalt ein solches Prinzip der wechselseitigen Anerkennung haben soll. Vor inhaltlich unklaren Kompromissformeln dieser Art ist eindringlich zu warnen. Sie können sich als genau das entpuppen, was man nicht will, wenn man das Herkunftslandprinzip ablehnt, nur in ein anderes Gewand gekleidet.“

- oftmals synonyme Verwendung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung und des Herkunftslandprinzips

In dem Artikel „Gegenseitige Anerkennung statt Herkunftslandprinzip“ der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26.04.2005 wird das Problem benannt: „Die Formulierung „Prinzip der gegenseitigen Anerkennung“ und Herkunftslandprinzip werden oft synonym benutzt.“ In der Tat sei in letzterem nur ausformuliert, was hinter beiden stecke. Der Unterschied entstehe durch die Deutung des vager formulierten Prinzips der gegenseitigen Anerkennung durch die SPD-Abgeordnete Evelyne Gebhardt. Während der (damalige) CSU-Abgeordnete Joachim Wuermeling das Prinzip erst dann verwende, wenn er das Herkunftslandprinzip in der Richtlinie mit EU-Mindeststandards verbinden will, gehe Gebhardt noch weiter. Sie wolle darunter verstanden wissen, dass die Zulassung in einem EU-Mitgliedstaat für die Tätigkeit im EU-Ausland ausreicht. Ansonsten müsse sich der Dienstleister an alle Vorschriften des Gastlands halten.

Die Interpretationen der beiden Politiker sind symptomatisch für die Nuancen im Verständnis des Begriffs, die jedoch nicht unerheblich sind, sondern völlig unterschiedliche rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

4. ABGRENZUNG DES PRINZIPS DER GEGENSEITIGEN ANERKENNUNG ZUM HERKUNFTSLANDPRINZIP

Der Bundesvorstand des deutschen Gewerkschaftsbundes grenzt das Herkunftslandprinzip gegen das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung in einer Information zu „Herkunftslandprinzip und „gegenseitige Anerkennung“ in der Diskussion um die Dienstleistungsrichtlinie“ im Juni 2005 deutlich ab:

„Der Hauptunterschied liegt darin, dass es den Behörden des Ziellandes möglich ist, Kontrollkompetenzen wahrzunehmen. Diese Kontrollmöglichkeiten werden durch die „Doktrin der zwingenden Beweggründe“ (doctrine of mandatory requirements) ermöglicht, die das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung ergänzt.“

Fraglich ist, ob die Ergänzung durch Kontrollkompetenzen tatsächlich so etabliert „hinzuinterpretiert“ werden kann, wie von dem Bundesvorstand des deutschen Gewerkschaftsbundes dargestellt.

Die Kommission stellte 2003 fest: „Die gegenseitige Anerkennung ist eine tragende Säule des Binnenmarktes. Sie sorgt dafür, dass Produkte frei gehandelt werden dürfen, wenn sie mit den einzelstaatlichen Gesetzen des Mitgliedstaates in Einklang stehen, in dem sie erstmals in Verkehr gebracht werden. Hier gilt der Grundsatz, dass es keine besonderen Verfahrensregeln und keine zusätzliche Bürokratie geben darf.“

Die Kommission erwähnt keinerlei Kontrollmöglichkeiten. Da sie besondere Verfahrensregeln ablehnt, lässt dies eher den Schluss zu, dass sie die Einrichtung von Kontrollmöglichkeiten des Ziellandes ablehnt. Eine grundsätzliche Verbindung des Prinzips mit anderen Prinzipien wie der „Doktrin der zwingenden Beweggründe“ muss verneint werden.

5. FESTLEGUNG VON GRUNDSÄTZEN

Die Kommission äußerte bereits 2003 in ihrer Binnenmarktstrategie 2003-2006 die Auffassung, dass besondere Regeln erforderlich sind, die die gegenseitige Anerkennung strukturell verbessern. Dies lasse sich am besten mit einer neuen Gemeinschaftsverordnung erreichen, in der die wichtigsten Grundsätze festgeschrieben sind. Aufgrund der großen Verständnisprobleme erließ sie im Oktober 2003 eine Mitteilung zu Auslegungsfragen des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung.

Der von der Kommission am 14. Februar 2007 vorgelegte Vorschlag ist eine der in der Binnenmarktstrategie 2003-2006 angekündigten Maßnahmen. Der Vorschlag stellt vor allem auf die Beweislast ab, indem er die Verfahrensanforderungen für die Verweigerung der gegenseitigen Anerkennung festlegt. Ein Schritt in die richtige Richtung, jedoch ist der Begriff damit insgesamt noch nicht differenziert genug festgelegt. Die wichtigsten Grundsätze sind nach wie vor nicht festgeschrieben. Die „schwammige“ Formulierung im Grünbuch vom 8. Februar 2007 unterstreicht dies.

6. FAZIT

Wie aufgezeigt, wird die Bedeutung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung so uneinheitlich bewertet, dass Missverständnisse vorprogrammiert sind. Wir halten die Verwendung des Begriffs in den Rechtsvorhaben der Europäischen Gemeinschaft aufgrund seiner Unklarheiten für nicht wünschenswert.

Manfred Westphal
Leiter Fachbereich Finanzdienstleistungen
Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.
Head of Financial Services Department
Federation of German Consumer Organisations
westphal@vzbv.de

Christina Beck
Juristische Sachbearbeiterin
Fachbereich Finanzdienstleistungen
Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.
Legal Officer
Financial Services Department
Federation of German Consumer Organisations
beck@vzbv.de

-------------------------------

FUSSNOTEN:
1 Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen vom 14. Februar 2007- Begleitdokument zum Vorschlag für eine Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von Verfahren im Zusammenhang mit der Anwendung bestimmter nationaler technischer Vorschriften für Produkte, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in Verkehr gebracht worden sind, und zur Aufhebung der Entscheidung 3052/95/EG - Zusammenfassung der Folgenabschätzung (SEK(2007)113), S. 2.

2. Vgl. Mankowski in der Stellungnahme der Universität Hamburg vom 9. Mai 2005 zur Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages am 11. Mai 2005 zum Vermerk des Generalsekretariats des Rates zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt (Ratsdok. Nr. 5161/05), S. 4.

3 Mitteilung der Kommission an den Rat, das europäische Parlament, den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Binnenmarktstrategie

4 Vorrangige Aufgaben 2003 – 2006“ am 7. Mai 2003 (KOM (2003)238 endgültig), S. 7.
5 Mankowski a.a.O., S. 4.

6 Wolf in der Stellungnahme der Universität Hannover vom 9. Mai 2005 zur öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zu dem Vermerk des Generalsekretärs des Rates (Ratsdok.-Nr: 5161/05), S. 4.

7 Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen vom 14. Februar 2007 a.a.O., S. 2.

8 Vgl. Wolf a.a.O., S. 4. Mankowski a.a.O., S. 4.

9 Mitteilung der Kommission a.a.O., S. 7.

10 Mitteilung der Kommission a.a.O., S.7.

11 Mitteilung der Kommission über die gegenseitige Anerkennung und den freien Warenverkehr – häufig gestellte Fragen am 23. Oktober 2003 (MEMO/03/212).

12 Vorschlag für eine Verordnung der europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von Verfahren im Zusammenhang mit der Anwendung bestimmter nationaler technischer Vorschriften für Produkte, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden sind, und zur Aufhebung der Entscheidung 3052/95/EG (von der Kommission vorgelegt) am 14. Februar (KOM(2007) 36 endgültig; 2007/0028 (COD)), S. 3.

13 Vorschlag für eine Verordnung a.a.O, S. 3.

14 Vorschlag für eine Verordnung a.a.O., S. 3.

ID: 40312
Autor(en): SCR
Erscheinungsdatum: 04.10.07
   
URL(s):

Link zum Beitrag von Bob Schmitz (ULC, auf Englisch)
 

Erzeugt: 04.10.07. Letzte Änderung: 08.10.07.
Information zum Urheberrecht der angezeigten Inhalte kann beim Institut für Finanzdienstleistungen erfragt werden. Aus fehlenden Angaben kann kein Recht zur freien Nutzung der Inhalte abgeleitet werden.