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Scoring: Transparenz und Regeln, damit es nicht diskrimiert. Kritische Bemerkungen des Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar
ECRC wird auf seiner Konferenz in Brüssel das Thema "Scoring" auf die Tagesordnung setzen. Bereits zugesagt hat die europäische Vereinigung der Konsumentenkreditinstitute, der größte private Anbieter von Scoring und Vertreter der Koalitionspartner für Verantwortung im Kredit aus Spanien und Griechenland. Eingeladen wurde auch die SCHUFA und der Bundesdatenschutzbeauftrage. Seine kritischen Bemerkungen zum Scoring können auch eine Grundlage für unsere Diskussion international sein. Wir dokumentieren Auszüge aus einem Vortrag des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar, auf der Konferenz Herausforderungen und Chancen in einer digitalisierten Welt am 15. März 2007, die im Internet unter dem angegebenen Link ebenso wie weitere Stellungnahmen von ihm zu diesem Thema veröffentlicht sind.


"Verbraucherschutz und Datenschutz sind auf vielfältige Weise miteinander verknüpft und ergänzen sich bei der wichtigen Aufgabe, Vertrauen in die Sicherheit der digitalen Welt bei Verbraucherinnen und Verbrauchern zu schaffen.
Mit diesem Vertrauen - oder dem Verlust desselben - hat auch das Thema zu tun, über das ich heute zu Ihnen sprechen darf:

DIE MODERNE KRISTALLKUGEL

Das Scoringverfahren - so suggerieren es die Unternehmen, die Scorewerte anbieten oder verwenden - soll in einer zunehmend anonymisierten Welt das Bedürfnis nach Sicherheit und Berechenbarkeit durch einen einfachen Zahlenwert wieder herstellen. Quasi als Alternative zum Blick in die Kristallkugel soll ein mathematisch-statistisches Rechenverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit voraussagen können, welches Kreditrisiko bei einem Verbraucher besteht. Sicherheit bringt das Scoring aber nur der Wirtschaft. Aus der Sicht des Verbrauchers wird die moderne Kristallkugel nur mit jeder Menge Daten gefüttert – wie sie dann ausgerechnet auf diese (Bonitäts-)Zukunft kommt, bleibt weitgehend ihr Geheimnis, der Verbraucher kann dies ebensowenig nachvollziehen, wie die Zukunftsdeutung der Kristallkugel. Mehr noch: Scoring kann in seiner Konsequenz eine neue Form der Diskriminierung werden, wenn es die Menschen zum Opfer einer erhöhten statistischen Wahrscheinlichkeit macht.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Auskunfteien erfüllen mit der Bonitätsbewertung eine wichtige Aufgabe im Geschäft der Kreditvergabe. Sie dienen dabei der vernünftigen Risikominimierung, hier geht es aber ausschließlich um das Risiko des Kreditgebers. Mit den Interessen der Verbraucher hat des derzeit praktizierte Verfahren des Scoring nur sehr wenig zu tun.

VOM NUTZEN DES SCORING

Durch das Scoring wird jedem Verbraucher ein Punktwert zugewiesen, der eine scheinbar individuelle Aussage über die Wahrscheinlichkeit trifft, ob er einen Vertrag nicht ordnungsgemäß erfüllen wird. Es handelt sich dabei um ein Verfahren, das auf mathematisch-statistischer Grundlage Risikoklassen bildet, denen Kreditsuchende, Kaufinteressenten etc. zugeordnet werden und die dann je nach Branche anhand hunderter Kriterien angeblich ein Bild von deren Bonität zeichnen.

Für den Betroffenen ist dies letztlich eine Diskriminierung, soweit ihm das statistische Verhalten einer fiktiven Gruppe persönlich zugerechnet wird, ohne dass er die Möglichkeit hat, seine Gruppenzugehörigkeit zu beeinflussen.

Die für das Scoring und konkret die Einteilung in Risikoklassen verwendeten Daten sind vielfältig und variieren von Auskunftei zu Auskunftei. Neben Daten aus vergangenen oder bestehenden Vertragsbeziehungen greifen Auskunfteien auch auf Daten zurück, die durch Teilnahme an Bonusprogrammen, Konsumentenbefragungen oder Kundenkarten gesammelt worden sind, oder solche, die aus dem Verhalten der Betroffenen gewonnen worden sind. Dabei handelt es sich vor allem um soziodemographische Daten: Ist er häufig umgezogen? In welchem Wohnumfeld lebt er? Wohlgemerkt: Es geht nur um positive Daten, ein Score wird gerade nur berechnet, wenn noch keine negativen Informationen über das Zahlungsverhalten einer Person aus der Vergangenheit vorliegen.
Seriösere Auskunfteien werden nun von sich behaupten, schon in ihrem eigenen Interesse nur bonitätsrelevante Daten für die Berechnung der Scorewerte zu verwenden. Die Aufsichtsbehörden für den Datenschutz haben in der Vergangenheit aber immer wieder feststellen müssen, dass diese Interessen kaum noch Grenzen kennen: Letztlich kann jedes Verhalten als bonitätsrelevant gedeutet werden, wenn eine entsprechende statistische Korrelation vorliegt. Auskunfteien wollen – bildlich gesprochen – aus dem Vollen schöpfen: je mehr Daten, desto besser. Die SCHUFA (Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung) hat sich in einem kürzlich vorgelegten Gutachten zur Rolle von Information und Transparenz in Marktprozessen feststellen lassen, dass prinzipiell eine Vielzahl von Informationen denkbar ist, um die Bonität widerzuspiegeln:
Erst auf Druck der Aufsichtsbehörden hat die SCHUFA davon abgesehen, die Anzahl der Umzüge eines Verbrauchers negativ in den Score einzubeziehen. Ginge es nach der SCHUFA, würde Mobilität, ein gesellschaftlich gewünschtes, ja häufig sogar gefordertes Verhalten, zu einem negativen Score und damit dem Verlust der Kreditwürdigkeit führen.
Erst auf Druck der Aufsichtsbehörden hat die SCHUFA es nicht mehr als negativ bewertet, dass ein Betroffener von seinem gesetzlichen Auskunftsanspruch, seinem im Bundesdatenschutzgesetz verankerten Recht, Gebrauch macht. Ginge es nach der SCHUFA, würde dies nach wie vor den Score negativ beeinflussen und damit bestraft werden.

VOM WIRTSCHAFTLICHEN RISIKO: DAS PARADEBEISPIEL KREDIT

Das Paradebeispiel für die Anwendung des Scoring ist das Kreditgeschäft. Hier - so die Auskunfteien - würden ohne das Scoring Kredite verteuert werden müssen, der Kreditmarkt würde gar zusammenbrechen. Dies ist aber nur ein Teil des Anwendungsbereichs: Scoringverfahren werden schon lange nicht mehr nur im sehr seriösen Bankensektor angewendet. Aus der Sicht der Auskunfteien birgt jeder Vertrag, in dem eine Seite in Vorleistung tritt, ein wirtschaftliches Risiko, das gescort werden muss. So gibt es heute kaum noch wirtschaftliche Entscheidungen, die ohne Hinzuziehung solcher Verfahren getroffen werden.

Inzwischen wird beim Abschluss von Versicherungsverträgen, dem Kauf im Internet und beim Versandhandel, beim Anmieten einer Wohnung oder vor dem Abschluss eines Handyvertrages mittels eines Score festgestellt, wie hoch das Risiko bei einem bisher unbescholtenen Kunden ist, seinen Vertragspflichten nicht nachzukommen. Bestellt man eine Ware per Internet, läuft in der Regel bereits während des Erhebungsvorgangs der Adressdaten ein Scoring-Verfahren ab, von dessen Ergebnis es der Händler abhängig macht, ob er nur Lieferung per Nachnahme oder auch Zahlung gegen Rechnung anbietet. Prinzip und Konsequenzen dieser Verfahren sind immer gleich: Kunden mit schlechtem Score bekommen schlechtere Konditionen. Sie zahlen höhere Zinsen für Kredite, können Waren nur per Vorkasse bestellen oder werden als Kunden erst gar nicht akzeptiert.
Mehr noch: Für den Verbraucher ist gar nicht mehr ersichtlich, dass er gescort wurde und deshalb an ihn nicht auf Rechnung geliefert wird. Aber selbst wenn er weiß, dass sein vermeintlich schlechter Scorewert ausschlaggebend für die Ablehnung des Vertrages war, ist der Betroffene argumentativ in der Defensive. Die Scorekarte, so wirbt die SCHUFA, sei ein objektives Verfahren. Wenn ein Computerprogramm ein hohes Ausfallrisiko errechnet hat, wieso sollte ich das Risiko eingehen, eine Wohnung zu vermieten oder ein Handyvertrag abzuschließen? Dann soll mir doch mein potentieller Kunde beweisen, dass er vertragswürdig ist.

FEHLENDE TRANSPARENZ

Welche Möglichkeiten aber hat der Verbraucher, wenn er seine Bonität beweisen will, ja beweisen muss? Welche Möglichkeiten hat er, der Diskriminierung zu entkommen? Wenn Scoring im Interesse der Verbraucher durchgeführt wird, sollte dann nicht auch jeder Verbraucher wissen, wie sein Scorewert zustande gekommen ist?

Es gibt heute eine Vielzahl von Auskunfteien in Deutschland. Um umfassend informiert zu sein, müsste man bei allen in Deutschland tätigen Auskunfteien nachfragen, ob und ggf. welche Daten über einen gespeichert sind und diese Datenbestände regelmäßig auf Richtigkeit und Vollständigkeit überprüfen. Trotz der grundsätzlich im Datenschutzgesetz verankerten Kostenfreiheit muss der Bürger für jede erteilte Auskunft bezahlen – und dies bei jeder Auskunftei. Wenn er dann noch seinen Score erfahren möchte, zahlt er wieder extra.
Zwar erklärte sich die SCHUFA inzwischen bereit, Betroffenen auf Nachfrage deren tagesaktuellen Score-Wert mitzuteilen, nicht jedoch den tatsächlich dem jeweiligen Vertragspartner übermittelten Score-Wert. Völlig unklar ist auch, wie sich der Score errechnet und welche Merkmale mit welcher Wertigkeit berücksichtigt werden: Hier verbergen sich erhebliche Risiken: Falschmeldungen an die Auskunfteien, unbefugte Weitergabe von Daten, Verwendung dieser Daten für Score-Berechnung, was etwa zum Verlust der Kreditwürdigkeit führen kann.
Der Betroffene wird durch die Berechnung eines Score nicht nur argumentativ in die Defensive gedrängt: er hat auch keine Möglichkeit, die Berechnung zu überprüfen und Gegenargumente vorzubringen. Mehr noch: wenn er seinen Scorewert verbessern wollte, setzt er sich dem Vorwurf der Datenmanipulation aus: einmal ein schlechter Score, immer ein schlechter Score.

SCORING BRAUCHT REGELN

Damit Scoring die Interessen der Verbraucher nicht verletzt, sind klare rechtliche Rahmenbedingungen notwendig. Hier sind branchenspezifische Regelungen erforderlich und insbesondere eine Beschränkung auf relevante individuelle Informationen zu Zahlungsverhalten, Einkommens- und Vermögensverhältnissen, denn aus der Sicht eines Kreditunternehmens sind andere Daten bonitätsrelevant als für einen Wohnungsvermieter oder Handyanbieter. Branchenübergreifende Auskunfteisysteme sind dagegen zu begrenzen.

Das Scoreverfahren muss offen gelegt werden:
die Betroffenen müssen wissen, welche Daten mit welcher Gewichtung in den Score eingeflossen sind. Geheimniskrämerei hat nichts mit dem Interesse der Verbraucher zu tun. Die Auskunfteien dürfen sich nicht länger hinter Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen verstecken.

ID: 39919
Autor(en): iff
Erscheinungsdatum: 11.07.07
   
URL(s):

Bundesdatenschutzbeauftragter zum Scoring
 

Erzeugt: 12.07.07. Letzte Änderung: 12.07.07.
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