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Überschuldungsforschung - Zehn Thesen anlässlich des SCHUFA Schuldenkompass
10 Thesen zur weiteren Erforschung der privaten Überschuldung

1. ÜBERSCHULDUNG IST EIN GRAVIERENDES PROBLEM SOZIALER DISKRIMINIERUNG UND VERARMUNG. VERSCHULDUNG IST DEMGEGENÜBER EIN NOTWENDIGES ELEMENT EINER MARKTGESELLSCHAFT, DIE CHANCEN ERÖFFNET, ABER AUCH GEFAHREN BEINHALTET.

Verschuldung spiegelt die Möglichkeit ungleichzeitiger Leistungen in einer immer arbeitsteiliger operierenden Wirtschaft wieder. Verschuldung ist produktiv, wenn das hierdurch erreichte Fremdkapital so genutzt werden kann, dass es noch über die Kapitalkosten hinaus einen zusätzlichen Nutzen hervorbringt. Dies gilt auch für Verbraucher, wenn sie durch diesen Nachsparprozess frühzeitig Konsummöglichkeiten wie PKW, Haus oder Urlaub nutzen oder ihr Lebenseinkommen gleichmäßiger so verteilen können, dass Engpässe überwunden werden können. Verschuldung ist unproduktiv, wenn sie so teuer ist (.Wucher.), dass der Nutzen daraus den Vor teil nicht erreicht, wenn eine Notlage ausgebeutet wird, wenn ein nicht behebbarer dauernder Einkommensmangel temporär auf Kosten der Zukunft ausgeglichen wird. Überschuldung liegt vor, wenn der Schuldner auf Dauer nicht mehr in der Lage sein wird, die fälligen Forderungen mit seinem Vermögen oder zu erwartendem Einkommen zu begleichen.

2. ÜBERSCHULDUNG VON VERBRAUCHERN, BEI DENEN REGELMÄßIG AUCH KEIN LIQUIDES VERMÖGEN (MEHR) VORHANDEN IST, BEDEU TET, DASS DAS FÜR DIE SCHULDENTILGUNG VORGESEHENE EINKOMMEN GANZ ODER TEILWEISE NICHT MEHR VORHANDEN IST.

Überschuldung ist daher immer relativ. Sie spiegelt die Tatsache wider, dass im Kredit ein Vorgriff auf zukünftiges Einkommen er folgt. Fällt dieses Einkommen teilweise weg (durch Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, sonstige Einkommensherabstufung, Kurzarbeit, Krankheit) oder wird es durch erhöhte (Konsum-) Ausgaben (für Kinder, Trennungsunterhalt, Krankheitsausgaben, Unfallfolgen) belastet, so tritt nach einer Zeit (ca. 15 Monate), in der vorhandene Reserven aufgebraucht und Konsumausgaben (Reparaturen, Ersatzbeschaffungen) aufgeschoben werden können, eine Zahlungsstörung ein. Diese Zahlungsstörung muss bei Fälligstellung des Gesamtkredites zur Überschuldung führen, weil der Verbraucher, der schon eine Rate nicht bezahlen kann, auf jeden Fall nicht die gesamte Restkreditsumme sofort bezahlen kann. Ist die Minderung des verfügbaren Einkommens temporär, dann kann durch Kredit Anpassungsmaßnahmen, gegebenenfalls auch durch Entschuldung in Insolvenzverfahren, die Überschuldung überwunden werden. Überschuldung kann daher bei geringer Verschuldung ebenso ein treten, wie hohe Verschuldung nicht per se zur Überschuldung führt. Deshalb ist es unsinnig, die Verschuldenszahlen als Indikatoren für Überschuldung zu nutzen. Ebenso unsinnig ist das Aufwiegen von Sparquoten gegenüber Verschuldungszahlen, weil alle Untersuchungen belegen, dass die Sparquoten vornehmlich nicht in den Kredithaushalten erzielt werden, sondern in den oberen 3/5 der Haushalte.

3. ÜBERSCHULDUNG IST NUR IM BEDINGUNGSDREIECK VON SUBJEKTIVEM KREDITWUNSCH, OBJEKTIVEM KREDITANGEBOT UND DEN BEDINGUNGEN DER KREDITSTÖRUNG ERKLÄRBAR.

Über 80% der Überschuldungsfälle liegen Kreditaufnahmen zugrunde, die bei Abschluss noch rational und sinnvoll waren, dann aber durch individuell nicht vorhergesehene Einkommenseinbußen oder Ausgabensteigerungen sowie falsche Anpassungsversuche nachhaltig gestört wurden. Nur bei etwa 13% sehen die meisten Untersuchungen den Anteil derjenigen, die bereits bei Beginn mehr Kredit wollten und auch bekamen, so dass von Anfang an hätte klar sein müssen, dass eine Überschuldung droht. Eine Reihe von Untersuchungen hat gezeigt, dass nicht nur die et wa 1% der Kreditnehmer, sondern auch bestimmte Kreditformen and Kreditanbieter besonders überschuldungsgeneigt sind, weil sie kaum Anpassungen erlauben, hohe versteckte Kosten haben und durch Provisionssysteme Anreize für unproduktive Kreditvergaben geben. Dazu gehören Ratenkredite über Vermittler zur Umschul dung, Haustürkredite, Kombinationsfinanzierungen wie Bausparsofortfinanzierungen, Spekulation auf Kredit wie in der Immobilien Fondsfinanzierung ebenso wie einige Anbieter, die die dauernden Umschuldungen und Aufstockungen mit Zusatzversicherungen zu einer besonderen Erwerbsquelle gemacht haben oder prüfungsfreie Kredite (Kreditkarten und Überziehungskredite) stimulieren. Diese Kreditgeber sind in der Schuldnerberatung notorisch.

4. ÜBERSCHULDUNG LÄSST SICH NICHT EINFACH AN DER HÄUFIGKEIT VON GEMELDETEN ZAHLUNGSSCHWIERIGKEITEN MESSEN.

Die der SCHUFA gemeldeten Zahlungsschwierigkeiten umfassen mehrheitlich kurzfristige und kleine Forderungen insbesondere aus dem Bereich der sonstigen Dienstleistungen. Darunter befinden sich wegen Reklamation berechtigte, aber vom Anbieter nicht an erkannte und damit an die SCHUFA kommentarlos weitergeleitete Zahlungsverweigerungen, Forderungen aus vergesslichem der nachlässigem Zahlungsverhalten, Forderungen, die der Schuldner überhaupt nicht kennt (Abwesenheit, nur von Dritten behauptet etc.). Außerdem sind der SCHUFA die Vermögensverhältnisse und das Einkommen der Schuldner mit Zahlungsstörungen nicht bekannt, so dass allenfalls die längerfristigen aus Bankkrediten herrührenden höheren Zahlungsrückstände hier einen Eindruck geben. Umgekehrt gibt es eine hohe Dunkelziffer von versteckter, der SCHUFA nicht gemeldeter Überschuldung, wo aus Gewinngründen an sich nachhaltig gestörte Beziehungen kostenpflichtig umgeschuldet und die Laufzeit verlängert werden. Diese Schuldenlawinen können sich als schlummernde Zeitbomben weiterentwickeln, weil der Schuldner kein Kapital mehr erhält, seine Schulden aber ständig steigen.

5. ÜBERSCHULDUNG DURCH GEKÜNDIGTE BANKKREDITE IST DER VERLÄSSLICHSTE INDIKATOR. SCHULDEN AUS ANDEREN VERHÄLTNISSEN HABEN ZWAR HÄUFIG DAZU BEIGETRAGEN, LÖSEN JEDOCH NICHT DIE ÜBERSCHULDUNG AUS.

Bankkredite stehen am Ende einer Verschuldungskette. Solange Bankkredite erreichbar sind, führen alle anderen Schulden nicht zur Zahlungsunfähigkeit. Kreditkarte und Kontoüberziehung sorgen dafür. Wer kreditunwürdig ist, ist meist schon vorher überschuldet. Diese größer werdende Gruppe in der Bevölkerung ist von allen produktiven Möglichkeiten ausgeschlossen. Die Mitgliedsfirmen der SCHUFA sind daher die beste Quelle für Überschuldungsuntersuchungen. Sie kennen die Anzahl und den Betrag der Umschuldungen, Neukreditaufnahmen, Verzugsfälle, Überziehungsprovisionen, Wertberichtigungen, bestrittene Forderungen. Sie sollten der SCHUFA ihre Daten öffnen.

6. DIE VOLLSTÄNDIGE VERHINDERUNG VON ÜBERSCHULDUNG IST IN DER MODERNEN MARKTWIRTSCHAFT MIT UNSICHEREN EINKOM MENSBEDINGUNGEN NUR MÖGLICH, WENN AUCH ARBEITSLOSIGKEIT UND ANDERE NICHT VORAUSSEHBARE BELASTUNGEN VERHINDERT WERDEN KÖNNTEN. DIES HINDERT ABER NICHT, DIE ÜBERSCHULDUNGSFÄLLE ZU MINIMIEREN UND IN DEN VERBLEIBENDEN FÄLLEN IN IHREN AUSWIRKUNGEN SOZIAL ZU MILDERN.

Die Kreditgeber können, da sie statistisch die Überschuldungsfaktoren kennen und in Werbung, Angebot, Kündigungsverhalten und vorhandenen Anpassungsmechanismen beeinflussen, an dieser Aufgabe besonders mitwirken. Verbraucherbildung kann überhöhte Kreditaufnahmen eindämmen, zur Einwirkung auf Anbieter befähigen (exit und voice) und vor allem ein weniger selbstschädigendes Verhalten in der Krisensituation selber ermöglichen. Staat, Arbeitgeber und Versicherer können die Verstetigung des Einkommens sowie die Vorsorge für Ausgabenrisiken befördern.

7. BANKEN HABEN EINE MITVERANTWORTUNG. WERBUNG UND INFORMATIONEN BEI KREDITABSCHLUSS KÖNNEN TRANSPARENTER, VERSTÄNDLICHER UND STÄRKER AUF DIE FOLGEN DER ÜBERSCHULDUNG BEZOGEN WERDEN.

Überteuerte Notkredite und Umschuldungskonstruktionen lassen sich gesetzlich einschränken. Kreditgebern kann zur sorgfältigeren Risikoprüfung das Ausfallrisiko und seine Folgen vollständig zugeordnet werden. Dem 1% aller Kreditnehmer (13% der Überschuldeten), die .zu viel. Kredit aufnehmen, kann entsprechende Erziehung zur Spar samkeit helfen. Liquiditätsfolgen können in Werbung und Vertragsanbahnung transparenter gestaltet werden (Pflicht zur beispielhaften Kostenangabe, zur Darstellung eines konkreten Liquiditätsplanes mit Be zug auf das erwartete Einkommen). Bei Produkten, bei denen die Kreditwürdigkeitsprüfung abgeschafft und die Verantwortung beim Verbraucher selber liegt, können be sondere Gefahrtragungsregelungen den Vertrieb eindämmen. Kredite in unfreiwilligen Situationen (Haustürkredite, Überrumpelungskredite) können verboten werden.

8. IM STÖRUNGSFALL KÖNNEN UNNÖTIGE KÜNDIGUNGEN EINGESCHRÄNKT UND GEEIGNETE ANPASSUNGSMECHANISMEN BEREITGESTELLT WERDEN, DIE DIE NOT NICHT AUSNUTZEN.

Kündigungsschutz bei Störungen, die noch keine Überschuldung bedeuten, aber durch Kündigung dazu werden würden. Pflicht zur Bereitstellung von Kreditanpassungsmechanismen, die temporäre Liquiditätsengpässe ohne Zusatzkosten und Schulden spirale zulassen (Zinsstundung, Tilgungsstreckung, sanfte Umschuldungen). Angemessene, uneigennützige, objektive und kostengünstige Kreditberatung im Störungsfall durch die Verbraucherzentralen oder Schuldnerberater. Kostengünstige Gruppenversicherungen für die Krisenfälle. Bildungsmaßnahmen, die die Wirkungen von Kredit und insbesondere langer Laufzeiten und der Zinsen auf die zukünftige Liquidität verstehbar machen, sowie die Möglichkeiten der Nutzung von Insolvenz und Schutzregeln zur Rehabilitation erklären und greifbar machen.

9. BEI ENDGÜLTIGER ÜBERSCHULDUNG SIND MECHANISMEN ER PROBT, DIE DIE WERTBERICHTIGUNG UNPRODUKTIVER SCHULDEN ERMÖGLICHEN UND WIRTSCHAFTLICHE REHABILITATION BEWIRKEN. SCHULDNERBERATUNG SPIELT HIER EINE WICHTIGE ROLLE.

Anpassung des Verbraucherinsolvenzverfahrens an ein Insolvenz verfahren mit Rehabilitationscharakter. Begleitung der Rehabilitation durch Lernprozesse, die Multiplikatoren und Präventivfunktion haben. Schutz der für die Neuorganisation notwendigen Mittel sowie der persönlichen Integrität des Schuldners.

10. IN DER ÜBERSCHULDUNGSFORSCHUNG MÜSSEN ALLE BETEILIGTEN ZUSAMMENARBEITEN JEDER IN SEINER SPEZIFISCHEN ROLLE UND KOMPETENZ.

Überschuldungsforschung ist Aufgabe einer an methodischer Klarheit und objektiver Wahrheit und Sachlichkeit ausgerichteten Wissenschaft. Traditionell hat sich die Soziologie damit beschäftigt. Rechtswissenschaft, Wirtschaftswissenschaften und Psychologie behandeln notwendige Teilmengen. Überschuldungsforschung kann nicht direkt oder indirekt durch entsprechende Auftragsbedingungen gesteuert von einer Interessengruppe übernommen werden. Anbieter, Gläubiger und ihre Kreditsicherungseinrichtungen, Verbraucherverbände und Schuldnerberatung ebenso wie das staatliche Bildungssystem und die Bankenaufsicht müssen jedoch mit der Wissenschaft hier zusammenarbeiten, um die notwendigen Daten und Erfahrungen beizusteuern und die Implementierungsmöglichkeiten der Ergebnisse abzuschätzen. Interessierte Überschuldungsforschung ohne wissenschaftlichen Anspruch ist verschleierte und damit missbrauchsanfällige Überschuldungspolitik. Sie sollte dann auch den Mut haben, als politische Auftragsforschung aufzutreten.

ID: 37659
Autor(en): iff
Erscheinungsdatum: 20.06.06
   
 

Erzeugt: 20.06.06. Letzte Änderung: 22.06.06.
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