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Bundesjustizministerin zu Fortschritten bei der Reform der Verbraucherinsolvenz
Die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist auf ihrer Begrüßungsrede beim Achten Deutschen Insolvenzrechtstag in Berlin unter anderem auf die zweite Stufe der Insolvenzrechtsreform, die sich mit der Verbraucherinsolvenz beschäftigt, eingegangen. Demnach wendet sich das Bundesjustizministerium nunmehr dieser Stufe des Verfahrens zu. Ein konkreter Zeitplan für einen Gesetzentwurf wurde noch nicht genannt.

Ministerium greift Erkenntnisse aus dem iff-Überschuldungsreport 2010 auf
In ihrer Analyse der Situation bei den Überschuldeten greift die Ministerin etliche Ergebnisse aus dem aktuellen iff-Überschuldungsreport 2010 auf: so folgt sie seiner Einschätzung, dass durchschnittlich 14 Jahre in Überschuldung eine zu lange Zeit sind, um den Menschen die Rückkehr in das eigenverantwortliche Wirtschaftsleben zu ermöglichen. Von daher bekräftigt sie die Notwendigkeit, die Wohlverhaltensperiode wie im Koalitionsvertrag festgelegt von 6 auf drei Jahre zu senken.

Verkürzung der Wohlverhaltensperiode nicht zum "Nulltarif"
Im Ministerium scheint sich die Linie durchgesetzt zu haben, wonach nur diejenigen Überschuldeten in den Genuß der Verkürzung der Restschuldbefreiung kommen sollen, die in der Lage sind, binnen dreier Jahre neben den Verfahrenskosten auch einen Teil der Schulden der Gläubiger zu befriedigen. Angedacht seien etwa 25 Prozent. Dieser Wert sei für viele Überschuldete ein realistischer, weil erfüllbarer Anreiz.

Gefahr der Zwei-Klassen-Insolvenz
Ob diese Einschätzung haltbar ist, muss angesichts der weiteren Erkenntnisse aus den iff-Überschuldungsreports und anderer Studien allerdings bezweifelt werden: In Anbetracht der immens hohen Arbeitslosigkeitsquote unter den Überschuldeten, der daraus resultierenden Armut, hohen Hindernissen für den Wiedereintritt in den Arbeitsmarkt, verursacht durch vergleichsweise geringe oder nicht vorhandene berufliche Qualifikation und Bildung, wird es dem Großteil der Überschuldeten ohne weiteres nicht möglich sein, eine auch noch so kleine Quote zu erfüllen. Neben der Durchführung des Insolvenzverfahrens sind vielfältige zusätzliche Massnahmen erforderlich, um den besonders armuts- und bildungspräkeren Haushalten einen "fresh start" aus eigener Kraft zu ermöglichen. Der aktuelle iff-Überschuldungsreport 2010 lässt vermuten, dass die Schuldnerberatungsstellen für dringend benötigte weitere Angebote, wie der Vermittlung von Ausbildungs- und Weiterbildungsmassnahmen, psycho-sozialer Hilfe und familiärer Beratung weder finanziell noch personell ausreichend ausgestattet sind. Andererseits zeigt die (nicht repräsentative) Pilotstudie "Menschen nach der Restschuldbefreiung" (ab Seite 27 des iff-Überschuldungsreports 2010), dass es Personen, denen es während des Insolvenzverfahren gelingt, sich zu qualifizieren, nach Ende ihres Verfahrens deutlich leichter haben, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren und dadurch vor Überschuldung dauerhaft geschützt zu sein. Gerade in diesem Bereich besteht aber noch erheblicher Forschungsbedarf.



Wir dokumentieren die Rede der Bundesjustizministerin vom 7. April 2011 nachfolgend im Wortlaut:

Begrüßungsrede von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger auf dem Achten Deutschen Insolvenzrechtstag in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Piepenburg,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

recht herzlichen Dank, dass ich heute zu Ihnen sprechen darf. Der Achte Deutsche Insolvenzrechtstag bietet ein sehr gutes Forum, um Ihnen die Fortschritte unserer Reformarbeiten am Insolvenzrecht und insbesondere über die zweite Stufe der Insolvenzrechtsreform vorzutragen.

Das Jahr 2010 hat uns nach der Finanzmarktkrise wieder aufatmen lassen. Wir haben einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt, der sich deutlich an einer Statistik abnehmender Unternehmensinsolvenzen ablesen lässt. Gerade die Anzahl der Großinsolvenzen ist zurückgegangen. Besonders erfreulich ist, dass sich damit auch der Verlust an Arbeitsplätzen verringert hat. Die Zahlen belaufen sich auf 240.000 durch Insolvenzen verlorene Arbeitsplätze und haben sich somit gegenüber den letzten Zahlen mehr als halbiert.

Die in der ersten Stufe der Insolvenzrechtsreform vorgenommenen Änderungen werden – hoffe ich - dazu beitragen, diesen positiven Trend zu unterstützen.

Schwieriger gestaltet sich die Situation bei den Verbraucherinsolvenzen. Wie befürchtet, bildet sich die während der Finanz- und Wirtschaftskrise eingetretene Verschlechterung auf dem Arbeitsmarkt im Jahr 2009 erst verzögert ab. Gegenüber dem Vorjahr ist die Zahl der Verbraucherinsolvenzen um 7,6 Prozent auf nunmehr 109.000 Verfahren angestiegen; das ist ein bedauerlicher Höchststand.

Das ist der Ausgangspunkt für die Überlegungen im Bundesjustizministerium. Auf die Finanz- und Wirtschaftskrise hat die Bundesregierung reagiert. Das Gesetz zur Restrukturierung und geordneten Abwicklung von Kreditinstituten ist bereits in Kraft getreten. Auch an die Beratungen zum Haushaltsbegleitgesetz erinnere ich mich noch sehr genau und freue mich, dass es uns gelungen ist, die ursprünglichen Pläne mancher Finanzpolitiker abzumildern. Jetzt wendet sich das Bundesjustizministerium notwendigen Neuerungen im Verbraucherinsolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahren zu.

Wir müssen uns bei allen Überlegungen bewusst machen, dass es oft gerade unternehmerisches Wagnis und wirtschaftliches Engagement sind, die zur Überschuldung führen – also genau jene Triebkräfte, die unsere Volkswirtschaft dringend benötigt. Bei den Reformbemühungen setzen wir genau da an. Wir wollen das unternehmerische Potential möglichst schnell wieder aktivieren. Wer wirtschaftlich in eine Schieflage geraten ist, dem wollen wir schneller einen „fresh start“ ermöglichen. Der Koalitionsvertrag sieht dazu vor, die Dauer des Restschuldbefreiungsverfahrens von sechs auf drei Jahre zu halbieren.

Das bedeutet nicht; – wie häufig gefordert – die Restschuldbefreiung an europäische Maßstäbe anzupassen. Einheitliche Maßstäbe zum Restschuldverfahren existieren in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union derzeit nicht. Vielmehr variiert in den einzelnen europäischen Ländern die Dauer der Restschuldbefreiung erheblich. In manchen Ländern, unter anderem in Luxemburg, gibt es gar keine Schuldbefreiung. Die Unterschiede gehen noch weiter. Die Voraussetzungen und Wirkungen der Schuldbefreiung sind in den Mitgliedstaaten der EU völlig unterschiedlich geregelt. Die kurze Verfahrensdauer in manchen Staaten bleibt ein theoretischer Wert, wenn ein Schuldner den Weg in die Schuldenfreiheit mangels tatbestandlicher Voraussetzungen gar nicht erst beschreiten kann. Es geht bei der Reform also nicht um eine Anpassung an tatsächlich nicht bestehende einheitliche Standards im EU-Raum, sondern darum, Neugründungen zu fördern und verschuldeten Verbrauchern einen möglichst schnellen Wiedereinstieg in das Wirtschaftsleben zu ermöglichen.

Meine Damen und Herren, letztlich kommt eine kürzere Restschuldbefreiung der Volkswirtschaft und damit den Gläubigern zu Gute. Eine lange Wohlverhaltensperiode wirkt sich nicht positiv auf die Wirtschaftskraft aus. Untersuchungen zufolge liegt die durchschnittliche Überschuldungsdauer – gerechnet vom Auslöser der Überschuldung bis zur Löschung des SCHUFA-Eintrags – bei durchschnittlich 14 Jahren. Dass diese lange Zeit fast zwangsläufig zum Motivationsverlust beim Schuldner führt, muss nicht näher erklärt werden. Für manchen Schuldner sind die sechs Jahre der derzeitigen Wohlverhaltensperiode ein kaum zu überblickender Zeitraum. Während der langen Dauer des Wohlverhaltens besteht die akute Gefahr, dass Schuldner ihre Erwerbstätigkeit in die Schattenwirtschaft auslagern und ihre Einkünfte rechtswidrig, aber schwer kontrollierbar dem Zugriff der Gläubiger entziehen.

Von Gläubigerseite wurde schon frühzeitig die Besorgnis geäußert, dass sich die Halbierung der Wohlverhaltensperiode dramatisch auf die Zahlungsmoral der Schuldner auswirken könnte. Diese Befürchtung nehme ich sehr ernst. Mir ist bewusst, dass insbesondere die Existenz kleiner und mittlerer Unternehmen von der pünktlichen und zuverlässigen Begleichung offener Forderungen abhängt. Wir dürfen auf keinen Fall einer Mentalität Vorschub leisten, die den eigenen Konsum „auf Pump“ finanziert. Die Verkürzung der Restschuldbefreiungsdauer ist deshalb nicht „zum Nulltarif“ zu haben. Eine Restschuldbefreiung nach drei Jahren möchte ich daher von zwei Voraussetzungen abhängig machen: Zum Einen sind sämtliche Verfahrenskosten zu begleichen. Zum Anderen hat der Schuldner einen Beitrag zur Befriedigung der Gläubiger zu leisten; denken Sie zum Beispiel an eine Quote von etwa 25 %. Kann der Schuldner diese Voraussetzungen nicht erfüllen, bleibt es bei der bisherigen Restschuldbefreiungsdauer von sechs Jahren. Die Möglichkeit, die Restschuldbefreiung zu verkürzen, soll den Schuldnern einen Anreiz geben, durch erhebliche Anstrengungen einen schnellen Neustart zu bekommen. Von diesem Ansatz werden bei gesamtwirtschaftlicher Betrachtung auch die Gläubiger profitieren. Anreizstrukturen sind effektiver als Strafen. Und nichts dürfte den Schuldner mehr zu überobligatorischen Anstrengungen motivieren, als eine Verkürzung der Wohlverhaltensperiode. Diesem Aspekt trägt die Insolvenzordnung bislang nicht ausreichend Rechnung.

Eine ähnliche Regelung findet sich in der Österreichischen Konkursordnung, errichtet aber mit einer Quote von 50 Prozent nach meinem Dafürhalten eine unrealistische Hürde. Eine Motivationswirkung entfaltet sich erst, wenn die Quote einen realistischen, weil nicht nur für einzelne, sondern für eine Vielzahl von Schuldnern erfüllbaren Wert aufweist. Ich meine, dass sich dieses Ziel zum Beispiel mit einer Quote in der Größenordnung von etwa einem Viertel besser erreichen lässt.

Über die Mindestquote hinaus sollen die Gläubigerrechte durch Änderungen an verschiedenen anderen Stellen des Insolvenzrechts gestärkt werden.

So ist beispielsweise derzeit unstimmig, dass die Erwerbsobliegenheit erst in der Wohlverhaltensphase besteht und nicht schon während des Insolvenzverfahrens. Dies wirkt sich bei einer besonders langen Dauer des Insolvenzverfahrens zum Vorteil des untätigen Schuldners aus. Die Erwerbsobliegenheit sollte daher bereits mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens eintreten. Dem Schuldner wird auf diese Weise die klare Botschaft mitgegeben, dass er von Anfang an einen aktiven Beitrag zum Schuldenabbau leisten muss.

Ich halte es darüber hinaus für sinnvoll, den Gläubigern künftig zu ermöglichen, Anträge auf Versagung der Restschuldbefreiung jederzeit auch schriftlich zu stellen. Hierdurch soll verhindert werden, dass Versagungsanträge nur deshalb unterbleiben, weil die Gläubiger den Aufwand scheuen, persönlich am Schlusstermin teilzunehmen und erst dort die Versagung beantragen zu können.

Ich halte es im Sinne der Gläubiger weiterhin für notwendig, klarer als bisher den nicht redlichen Schuldner von der Restschuldbefreiung auszuschließen. Die Restschuldbefreiung soll versagt werden können, wenn der Schuldner die wirtschaftlichen Interessen oder das Vermögen eines späteren Insolvenzgläubigers beeinträchtigt. Bislang wird die Restschuldbefreiung nur dann versagt, wenn der Schuldner wegen einer echten Insolvenzstraftat verurteilt wird. Nur insolvenzbezogene Straftaten, zum Beispiel Betrug oder Untreue, werden für die Versagung bislang nicht berücksichtigt. Das ist eine nicht nachvolllziehbare und praxisferne Regelung.

Darüber hinaus soll die missbräuchliche Wiederholung von Restschuldbefreiungsanträgen so weit wie möglich ausgeschlossen werden. Durch Schuldner, die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten verletzen, werden die Gerichte in erheblicher und unzumutbarer Weise belastet. Die vom Bundesgerichtshof bereits im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung herausgebildete Sperrfrist von drei Jahren sollte zur gesetzlichen Regelung erhoben werden.

Sie können sich sicherlich vorstellen, dass die Halbierung der Restschuldbefreiungsdauer weitere erhebliche Folgeänderungen notwendig macht. Denn wir müssen damit rechnen, dass die Restschuldbefreiung häufiger als bisher vor der Aufhebung des Insolvenzverfahrens erteilt wer­den wird.

Hierfür müssen Regelungen gefunden werden. Entschieden werden muss – und diese Frage ist besonders komplex –, wie ein Neuerwerb nach Erteilung der Restschuldbefreiung zu behandeln ist. Der Bundesgerichtshof hatte sich mit dem Thema bereits in einigen Entscheidungen zu befassen. Er hat dabei allerdings nicht nach der Art des Neuerwerbs differenziert. Er hat damit offengelassen, ob dem Schuldner nach Ablauf der Abtretungsfrist wieder jeglicher Neuerwerb zustehen soll, z. B. auch Erbschaften, Steuerrückerstattungen, Zuflüsse aus Anfechtungsprozessen oder ob ihm nur der Erwerb zusteht, der von der Abtretungserklärung erfasst wird, also in erster Linie das Einkommen. Es stellen sich weitere Fragen: Wie soll Vermögen behandelt werden, das nach Paragraph 35 der Insolvenzordnung zur Insolvenzmasse gehört, aber erst nach Erteilung der Restschuldbefreiung anfällt? Überwiegt das Interesse an einer maximalen Massemehrung oder das Interesse des Schuldners an einem „fresh start“? Und wie steht es um die Nutzungen von massebefangenen Gegenständen? Ich werde an dieser Stelle nicht noch ausführlicher in diese Problematik eintauchen, aber ich möchte alleine mit diesen Punkten deutlich machen, dass wir im Ministerium noch vor komplizierten Fragen und vor schwierigen Abwägungen stehen.

Ein weiterer wichtiger und immer wieder diskutierter Punkt ist die Behandlung von Vorausabtretungen nach Paragraph 114 der Insolvenzordnung. Nach dieser Vorschrift behalten Gehaltsabtretungen – soweit sie tarifvertraglich nicht ohnehin ausgeschlossen sind – im eröffneten Insolvenzverfahren zwei Jahre lang ihre Wirksamkeit. Diese Norm kollidiert ganz offensichtlich mit der verkürzten Restschuldbefreiung. Mit Blick auf den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung scheint mir eine  Streichung dieser Regelung die beste Lösung dieses Konflikts zu sein.

Meine Damen und Herren, natürlich besteht über die Verkürzung der Restschuldbefreiung hinaus weiterer Reform­bedarf im Verbraucherinsolvenzrecht.

So halte ich eine Umgestaltung des außergerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahrens für sinnvoll. Bislang hat der Schuldner zwingend ein außergerichtliches Schuldenbereinigungsverfahren durchzuführen. Von einem gerichtlichen Einigungsversuch, in dem der Schuldner die Ersetzung der Zustimmung einzelner Gläubiger beantragen kann, wird dagegen in der Praxis regelmäßig abgesehen. Hier ist es folgerichtig, ganz auf das gerichtliche Einigungsverfahren zu verzichten und dem Schuldner stattdessen bereits beim außergerichtlichen Schuldenbereinigungsversuch die Möglichkeit zu geben, bei Gericht Zustimmungsersetzung zu beantragen. Ist eine Einigung von vorneherein aussichtslos, etwa weil der Schuldner nichts anzubieten hat, soll künftig schon auf den außergerichtlichen Schuldenbereinigungsversuch verzichtet werden können.

Meinen Damen und Herren, sicherlich werden Sie sich auch fragen, ob wir die Pläne der 16. Legislaturperiode wieder aufgreifen und ein eigenständiges Entschuldungsverfahren einführen werden. Vielleicht erinnern Sie sich aber auch noch an die heftige Kritik, mit der die Sachverständigen im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages diese Pläne bedacht haben. Sie haben sich damals sehr deutlich gegen jede Abschaffung der Stundungsregelung ausgesprochen. Die parlamentarischen Beratungen haben zudem gezeigt, dass der vorgeschlagene Verzicht auf die Durchführung des Insolvenzverfahrens bei Masselosigkeit nicht die erhofften Vereinfachungen bringen würde. Auch in diesem Fall muss Klarheit darüber geschaffen werden, welche Gläubigerforderungen Gegenstand der Restschuldbefreiung sein sollen. Bestimmte Verfahrensschritte des Insolvenzverfahrens sind nun einmal unverzichtbar. Die Sachverständigen haben ferner bemängelt, dass es keine gesicherten Erkenntnisse über die Belastungen der Länder durch die Stundung der Verfahrenskosten gibt, weil sich die Rückflüsse nicht beziffern lassen. An dieser Situation hat sich bis heute nichts geändert. Wir müssen erst klären, wie hoch die Kostenausfälle durch Verfahrenskostenstundung in den Landesjustizhaushalten sein würden. Hochrechnungen der Länder aus den Jahren 2006 und früher helfen dabei nicht. Zum Einen konnten aufgrund der Vorausabtretungen nach Paragraph 114 InsO Zahlungen an die Staatskasse in der Regel erst zwei Jahre nach Einführung der Stundung, also ab 2004, erfolgen. Zum Anderen sind die Kosten für die Durchführung des Insolvenzverfahrens infolge des Wegfalls der notwendigen öffentlichen Bekanntmachung in Printmedien erheblich gesunken. Der Verzicht auf die Anzeigen in der Tagespresse hat die Justizhaushalte der Länder also deutlich entlastet. Da der Schuldner auch nach der Erteilung der Restschuldbefreiung noch vier Jahre für die Rückzahlung der Kosten an die Staatskasse einzustehen hat, können die zwingend notwendigen Erkenntnisse über die finanzielle Belastung der Länder durch das Stundungsmodell frühestens 2012 gewonnen werden.

Meine Damen und Herren,
nach dem Ausblick auf die kommenden Arbeiten, lassen Sie mich noch einen Blick auf das schon Geleistete werfen und damit auf das ESUG zu sprechen kommen. Der Entwurf für ein Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen wurde Ende Februar von der Bundesregierung beschlossen. In der vergangenen Woche haben sich die Ausschüsse des Bundesrats damit befasst. Mit dem ESUG setzen wir neue Maßstäbe, um die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Sanierung notleidender Unternehmen zu verbessern.

Das Stichwort Sanierung ist derzeit in aller Munde. Dabei darf aber das eigentliche Ziel des Insolvenzverfahrens nicht aus dem Blick geraten. Es ist als Gesamtvollstreckungsverfahren im Interesse der Gläubiger auf eine Schuldenregulierung ausgerichtet. Der Gesetzgeber ist also gut beraten, wenn er denjenigen stärkeren und wirksameren Einfluss auf die Verfahrensgestaltung einräumt, die finanziellen Konsequenzen zu tragen haben. Der Gläubigereinfluss auf das Insolvenzverfahren muss verstärkt werden. Eine Einflusssteigerung ist jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn der wesentliche Grundsatz des Insolvenzverfahrens, die Gläubigergleichbehandlung, nicht weiter beeinträchtigt wird. Ein stärkerer Einfluss der Gläubiger darf nicht dazu führen, dass Partikularinteressen einzelner Gläubiger befriedigt werden.

Der Ablauf des Insolvenzverfahrens steht und fällt mit der Auswahl des Insolvenzverwalters. Das ist die oft und richtig proklamierte „Schicksalsfrage des Verfahrens“. Der  Grundsatz ist leicht formuliert, sehr schwierig gesetzlich auszugestalten. Es stellt sich eine Reihe von Fragen. Die erste lautet: Welche Gläubiger sind in welcher Weise bei der Auswahl zu beteiligen und wie erhält das Gericht Kenntnis von der Person dieser Gläubiger? Die im Diskussionsentwurf noch vorgesehene Einbeziehung der „wesentlichen Gläubiger“ ist in der Fachöffentlichkeit sofort auf erhebliche Kritik gestoßen, weil man unter der Formulierung ausschließlich Großgläubiger verstehen wollte.

Der Regierungsentwurf greift diese Kritik auf und bindet das in der Insolvenzordnung bereits vorgesehene Mitwirkungsgremium aller Gläubiger, nämlich den Gläubigerausschuss, früher ein. Künftig soll schon im Eröffnungsverfahren bei der Auswahl des Insolvenzverwalters und der Frage der Anordnung einer Eigenverwaltung unter bestimmten Voraussetzungen ein alle Gläubigergruppen repräsentierender vorläufiger Gläubigerausschuss mitwirken. Die zwingende Mitwirkung dieses Gremiums haben wir aber nur vorgesehen, wenn bestimmte Kennzahlen hinsichtlich der Unternehmensgröße erfüllt sind und die Einsetzung nicht zu einer nachteiligen Veränderung der Insolvenzmasse führt. Bei der Festlegung der Kennzahlen haben wir uns von der Prämisse leiten lassen, dass die Gläubigerbeteiligung in diesem frühen Zeitpunkt nicht nur bei der Insolvenz großer Unternehmen wichtig ist, sondern gerade auch bei mittelständischen Unternehmen.

Einigt sich ein alle Gläubigergruppen repräsentierender Ausschuss einstimmig auf einen Verwalter oder befürwortet er die Anordnung der Eigenverwaltung, halte ich es für gerechtfertigt, dass der Richter grundsätzlich an dieses einstimmige Votum gebunden ist. In dieser Bindung ist auch kein Diese Bindung stellt auch keinen Verstoß gegen die richterliche Unabhängigkeit dar. Artikel 97 GG bestimmt vielmehr ausdrücklich, dass der Richter dem Gesetz unterworfen ist. Die Neuregelungen, insbesondere bei der Verwalterauswahl sind auch nicht – wie immer wieder behauptet wird – Ausdruck eines Misstrauens gegen die richterliche Entscheidung. Sie sollen vielmehr sicherstellen, dass die Gläubiger, die allein die wirtschaftlichen Folgen der Insolvenz zu tragen haben, schon zu einem Zeitpunkt in die Entscheidungen eingebunden werden, in dem die Weichen für die Durchführung des Insolvenzverfahrens gestellt werden. Die Gläubigerversammlung, wie bislang erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einzubeziehen, ist zu spät.

Aber nicht nur die Gläubiger sollen stärker an dem Insolvenzverfahren mitwirken können. Auch der Schuldner erhält Anreize, um durch eine frühzeitige Stellung des Insolvenzantrags eine Sanierung zu ermöglichen und eine Zerschlagung seines Unternehmens zu vermeiden. Künftig soll die Eigenverwaltung des Schuldners eine größere Bedeutung erlangen. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens soll nicht mehr – wie bisher in der überwiegenden Anzahl der Fälle - zu einem Kontrollverlust des Unternehmers führen. Die insolvenzrechtliche Praxis, also insbesondere Sie meine Damen und Herren, haben mit der erfolgreichen Durchführung einiger Verfahren den Kritikern der Eigenverwaltung vor Augen geführt, dass dies ein durchaus wirksames Instrument bei der Sanierung sein kann. Durch die Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses bei den Voraussetzungen der Eigenverwaltung soll das Gericht daher angehalten werden, sich vertiefter als bisher mit dieser Möglichkeit der Verfahrensgestaltung auseinanderzusetzen.

Ein völliges Novum im Insolvenzverfahren ist künftig das sogenannte „Schutzschirmverfahren“ – Sie haben es vorhin angesprochen, Herr Piepenburg. Es verfolgt eine doppelte Zielrichtung. Stellt ein Schuldner den Eröffnungsantrag bereits bei drohender Zahlungsunfähigkeit oder bei Überschuldung, kann er innerhalb von drei Monaten unter einem Schutzschirm begleitet durch einen vorläufigen Sachwalter in Eigenverwaltung einen Sanierungsplan ausarbeiten, der anschließend im Planverfahren umgesetzt werden soll. Dieses Sanierungsverfahren gibt dem Schuldner die gerade bei der Beantragung von Eigenverwaltung vielfach vermisste Planungssicherheit. Das Gericht soll nicht nur regelmäßig – die Eignung der Person selbstverständlich vorausgesetzt – den vom Schuldner Vorgeschlagenen als vorläufigen Sachwalter einsetzen. Auf Antrag ist das Gericht auch verpflichtet, Zwangsvollstreckungen gegen den Schuldner zu untersagen oder einstweilen einzustellen. Zudem darf das Gericht im Schutzschirmverfahren weder einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen noch dem Schuldner die Verfügungsbefugnis über sein Vermögen entziehen.

Meine Damen und Herren,
wenn wir über das Thema Sanierung im Insolvenzrecht reden, so steht naturgemäß das Insolvenzplanverfahren im Fokus des Interesses. Wir müssen immer noch feststellen, dass die Zahl der Planverfahren sich weiter unbefriedigend im einstelligen Prozentbereich bewegt. Dies will das ESUG durch mehrere Regelungen verändern. Der Entwurf zielt auf eine moderate Beschränkung der Rechtsmittel gegen die Planbestätigung und damit auf die Beseitigung von missbräuchlichen Blockaden einzelner Gläubiger ab.

Weiter greift das ESUG einen von der Praxis vehement geforderten Vorschlag auf: die Umwandlung von Forderungen in Haftkapital. Die Einbindung dieses gesellschaftsrechtlichen Instruments in die Insolvenzordnung verbessert die Sanierungschancen nach unserer Ansicht erheblich, da Widerstände von Altgesellschaftern überwunden werden können. Und dies gilt nicht nur im Verfahren. Bereits im Vorfeld einer Insolvenz, wenn mit den Gläubigern eine einvernehmliche Sanierung angestrebt wird, die nach unserer Rechtsordnung nur einstimmig erfolgen kann, wird dieses Institut des debt-equity-swaps gewisse Vorwirkungen zeigen.

Auch die beste Insolvenzordnung ist jedoch nur so gut wie diejenigen, die sie in der Praxis umzusetzen haben. Nur wenn die Instrumente des Insolvenzverfahrens von gut ausgebildeten und erfahrenen Insolvenzrichtern und Rechtspflegern angewandt werden, können die Sanierungsoptionen der Insolvenzordnung effektiv greifen. Dieses Ziel können wir nur über eine stärkere Konzentration der gerichtlichen Zuständigkeiten erreichen. Richter und Rechtspfleger brauchen nicht nur Fachwissen im Insolvenzrecht, sie benötigen auch Kenntnisse des Handels- und Gesellschaftsrechts, der für das Insolvenzverfahren notwendigen Teile des Arbeits-, Sozial- und Steuerrechts sowie des Rechnungswesens, um Entscheidungen auf Augenhöhe mit den spezialisierten Insolvenzverwaltern treffen zu können. Dieses Fachwissen bringen sie nur zu einem geringen Teil aus ihrer Ausbildung mit. Wichtig ist es, dass die Richter und Rechtspfleger dieses Wissen erwerben und immer wieder vertiefen. Das wollen wir mit unseren Neuregelungen im Gerichtsverfassungsgesetz und im Rechtspflegergesetz, die festschreiben, dass die Kenntnisse vorhanden oder nachgerüstet werden müssen, bewirken. Genau so wichtig sind aber auch Erfahrungen mit der Bearbeitung von Insolvenzverfahren, die nur gewonnen werden können, wenn hinreichende Fallzahlen zu bearbeiten sind. Die Praxis zeigt, dass dies bei kleineren Insolvenzgerichten nicht so gewährleistet werden kann. Dort sind Richter und Rechtspfleger ganz überwiegend nur mit einem geringen Anteil ihrer Arbeitskraft im Insolvenzrecht tätig. In acht Bundesländern sind die Insolvenzsachen bereits auf ein Amtsgericht im Landgerichtsbezirk oder sogar stärker konzentriert. Aber sehr wohl müssen wir auch wahrnehmen, dass es aus einigen Bundesländern Widerstand gegen diese Regelung gibt.

Meine Damen und Herren,
wie bei allen Gesetzentwürfen ist es für uns außerordentlich hilfreich, wenn wir die Regelungen nicht nur am grünen Tisch konzipieren, sondern erfahrene Praktiker ihre Vorstellungen mit einbringen. Die Resonanz in der Fachöffentlichkeit auf das ESUG war sicherlich auch deshalb außerordentlich erfreulich, weil wir nach intensiven Diskussionen mit Ihnen zahlreiche Anregungen aufgegriffen haben. Ich bin daher zuversichtlich, dass uns ein praxistauglicher Entwurf gelungen ist, der hoffentlich auch das weitere Gesetzgebungsverfahren zügig durchlaufen wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich konnte in meinen Ausführungen heute nur einen schmalen Ausschnitt des gesamten Regelungsprogramms zum Insolvenzrecht beleuchten.

Die 3. Stufe unserer Reformanstrengungen, also insbesondere das Konzerninsolvenzrecht, habe ich noch nicht einmal erwähnt. Unsere konkreten Überlegungen dazu kann ich Ihnen sicherlich zu einem späteren Zeitpunkt auf dem Insolvenzrechtstag vorstellen, sofern ich die Freude habe, wieder von Ihnen eingeladen zu werden. Ich hoffe, dass ich Ihnen einige interessante Hinweise, aber auch Anlass zu weiteren Beratungen habe geben können

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.



ID: 46963
Autor(en): MK
Erscheinungsdatum: 12.04.11
   
 

Erzeugt: 12.04.11. Letzte Änderung: 27.07.12.
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